Dracula, my love
seltsames Gefühl hatte mich beschlichen, dass mich jemand aus dem Nachbarhaus beobachtete. Und kurz danach war er ganz unverhofft im Zug aufgetaucht.
„Nein!“, keuchte ich und starrte ihn an. „Es kann nicht wahr sein! Sie können nicht er sein!“
„Es tut mir leid, Mina, dass Sie es auf diese Weise herausfinden mussten. Ich hatte geplant, es Ihnen ganz anders mitzuteilen. Jedoch ...“ Er stieß ein trauriges Lachen aus und fuhr dann bitter fort: „Ich habe gerade erst herausgefunden, dass Sie und diese Männer aus Ihrem Umfeld mir nach dem Leben trachten - und alles nur wegen der irrigen Annahme, dass ich Ihnen Böses will.“
13
Ich sprang aus dem Bett und presste mich entsetzt und völlig verwirrt an die am weitesten entfernte Wand. War das möglich? Konnte der Mann, den ich liebte, das Ungeheuer sein, das ich verachtete ... und das Scheusal, das wir uns alle zu vernichten geschworen hatten? Alles, was bisher geschehen war, alles, was „Herr Wagner“ und ich miteinander erlebt hatten, war das etwa nur Teil eines unfassbaren, hinterhältigen Plans? War er gekommen, um mich umzubringen?
Wenn das stimmte, dann war ich ihm schutzlos ausgeliefert. Ich trug nichts als ein dünnes weißes Nachthemd und befand mich in einem Haus, in dem sich sonst nur eingesperrte Irre und ein paar Bedienstete in einem separaten Flügel aufhielten. Ich war untröstlich und gleichzeitig verwirrt, verängstigt und benommen.
„Wie das?“, flüsterte ich. „Wie kann das sein? Jonathan sagte, Graf Dracula sei ein alter Mann, und Sie sind ...“
„Als ich Ihren Herrn Harker in Transsilvanien kennenlernte, nahm ich die Gestalt an, in der ich mich den Einwohnern dort zeige. Ich hatte auch sehr lange keine Nahrung mehr zu mir genommen. Die Bauern in ihrem ängstlichen Aberglauben achten sorgsam darauf, sich und ihr Vieh vor mir zu schützen.“
„Dann stimmt es also?“, rief ich entsetzt. „Sie sind nur nach England gekommen, um sich an unseren wehrlosen Landsleuten gütlich zu tun, sie zu ermorden und mehr Geschöpfe ihresgleichen zu schaffen?“
Er stöhnte voller Enttäuschung und Abscheu auf. Nun lag so viel Zorn in seinem Blick, dass ich fürchtete, er würde quer durch das Zimmer eilen, sich auf mich stürzen und mich auf der Stelle töten. „Das hat Ihnen also Ihr hochverehrter Professor van Helsing über mich erzählt? Ich hätte es mir denken können, als ich vorhin Ihre Pläne belauschte. Welchen Irrglauben doch die Menschheit in ihrer Unwissenheit hervorbringt! Mina, können Sie sich wirklich vorstellen, dass ich unschuldige Londoner Bürger ermordet habe? Hat es etwa Berichte in den Zeitungen darüber gegeben? Die Morde, die Jack the Ripper begangen hat, sind allen noch so deutlich im Gedächtnis. Meinen Sie da nicht, dass es jemand bemerkt hätte, wenn nachts Menschen tot und mit Bisswunden am Hals in den Gassen gelegen hätten?“
Mühsam brachte ich hervor: „Nun, ich denke, ja. Aber ...“
„Ich kenne den Ruf Ihres Professors.“ Dracula schien aufs äußerste angespannt und konnte seine Wut nur mühsam im Zaum halten, während er im Raum auf und ab schritt. „Er hält sich für einen großen Vampirexperten, wenn er auch meines Wissens niemals einen Vampir gesehen, geschweige denn getötet hat, jedenfalls nicht bis gestern auf dem Friedhof in Hampstead. Welche anderen Lügen hat dieser ›Experte‹ Ihnen sonst noch über mich erzählt? Ich habe kaum Interesse daran, Wesen meinesgleichen zu schaffen, Mina. Die anderen Vampire, denen ich bisher begegnet bin oder die ich kenne, sind zumeist widerwärtige Wesen, mit denen ich außer dem Durst auf Blut nicht das Geringste gemein habe. Es läge mir fern, mir zu wünschen, dass die Erde mit noch mehr Geschöpfen ihresgleichen bevölkert wird.“
„Warum sind Sie dann hier?“
„Ich habe Transsilvanien verlassen, weil ich über viele Jahrhunderte in der Finsternis allein für mich lebte und von Menschen umgeben war, die mich hassten und fürchteten. Ich sehnte mich danach, wieder im Licht und in der weiten Welt zu weilen, mich unter interessanten, tatkräftigen, gebildeten Menschen aufzuhalten, die etwas schafften. Ich wollte die Freuden der Kultur genießen und mich an den Wundern der Naturwissenschaft und Technik erfreuen, von denen ich in der Ferne nur gelesen hatte. Natürlich kann ich nicht von der Hand weisen, dass diese großartige Stadt mir auch vielfältige Möglichkeiten der Nahrungsbeschaffung bietet. Ich überlebe, wie ich eben muss, wie es
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