Dracula, my love
die Dunkelheit. Zwei nächtliche Bummler kamen vorüber und brachten mich wieder zur Besinnung.
„Gehen Sie!“, sagte Herr Wagner und wandte die Augen ab, musste anscheinend darum kämpfen, sich wieder in die Gewalt zu bekommen. „Jetzt! Ehe ich ...“
Ich murmelte ein hastiges Adieu und eilte fort. Tränen traten mir in die Augen, während ich nach Hause hastete. Mein Herz hämmerte wild vor Scham. Wenn er selbst es nicht verhindert hätte, dachte ich, dann hätte ich ihn geküsst. Was tat ich da bloß? Was für eine Frau war aus mir geworden, dass ich mich so schändlich aufführte? Ich wusste, dass ich all dem ein Ende machen musste ..., aber wie ich das schaffen sollte, wusste ich nicht.
Als ich mich wieder in unsere Schlafkammer schlich und die Tür verschloss, hörte ich Lucys vorwurfsvolle Stimme aus der Dunkelheit.
„Wo warst du?“
Ich zündete eine Lampe an. Lucy lag im Bett und starrte mich an. War sie wach oder schlief sie? Ich vermochte es nicht zu sagen. „Ich habe einen nächtlichen Spaziergang gemacht“, antwortete ich rasch. „Wie ich das oft tue.“
Als ich mich auszukleiden begann, setzte sich Lucy auf. Ihre blauen Augen, die in der seltsamen Blässe ihres Gesichtes leuchteten, waren immer noch starr auf mich gerichtet. „Das muss aber ein sehr langer Spaziergang gewesen sein. Ich bin vorhin schon einmal aufgewacht, und du warst fort. Ich hatte Angst.“
„Es tut mir leid.“
„Warum sind deine Wangen so gerötet? Und warum schwitzt du?“
„Ich habe im Schatten jemanden gesehen, als ich auf dem Heimweg war, also bin ich gerannt.“
„Das glaube ich dir nicht. Du bist zum Pavillon gegangen, nicht wahr? Du hast mit Herrn Wagner getanzt!“
Meine Wangen brannten. „Ich habe nichts dergleichen getan.“
„Du bist eine sehr schlechte Lügnerin, Mina. Sieh mal, wie du rot wirst! Mit mir kannst du ruhig offen reden. Wenn jemand diese Versuchung verstehen kann, glaube mir, dann bin ich das.“
„Ich weiß nicht, was du damit meinst.“
„Wie du willst.“ Lucy zog die Knie an die Brust und umschlang sie mit den Armen. Sie lächelte. „Mina, erinnerst du dich noch an jene Nacht? An die Nacht, als du mich fest schlafend auf dem Friedhof gefunden hast?“
„Wie könnte ich die vergessen?“
„Langsam kommt mir die Erinnerung daran zurück. Ich habe jetzt einzelne Bruchstücke meines Traumes wiedergefunden. Es war mir beinahe wie ein Zwang; ich musste einfach zu diesem Ort hinaufgehen, obwohl ich nicht wusste, warum das so war. Ich schritt über die Brücke und eilte die Treppe hinauf. Ich hörte Hunde heulen, dann Musik, wunderschöne Musik. Und dann ...“ Ein beinahe träumerischer Ausdruck trat auf Lucys Gesicht. Sie strich sanft und zärtlich über die Bettdecke. „In meinen Gedanken ist ein solches Durcheinander. Dann habe ich noch eine verschwommene Erinnerung an ein hoch aufgeschossenes, dunkles Wesen mit lodernd roten Augen.“
„Roten Augen?“
„Ein seltsames Singen klang in meinen Ohren. Es schien mir, als hätte meine Seele den Körper verlassen und schwebte durch die Lüfte. Ich bin erst wieder zu mir gekommen, als du mich wachgerüttelt hast.“
Genau in diesem Augenblick ertönte von draußen vor dem Fenster ein merkwürdiges Geräusch. Lucy sprang auf und zog den Vorhang zurück. Zu meiner Verwunderung erblickte ich ein großes Wesen mit schwarzen Flügeln, das im Mondlicht wirbelnde Kreise zog.
„Was ist das?“, fragte ich. „Ein großer Vogel?“
„Es ist eine Fledermaus.“
Ich hatte zuvor schon Fledermäuse gesehen, doch diese hier war größer und schwärzer als die meisten und hatte ungeheuer ausladende Flügel. Ein oder zwei Mal flog sie ganz nah an unserem Fenster vorüber und - wenn ich es mir auch vielleicht nur einbildete - ich meinte, zu spüren, wie mich winzige Augen durchdringend anstarrten. Dann schoss das Tier pfeilschnell in Richtung Osten davon.
Der verträumte Ausdruck auf Lucys Gesicht wich einer lüsternen Miene, die ich noch nie zuvor bei ihr wahrgenommen hatte. Sie hatte sich lasziv auf dem Bett zurückgelehnt und lachte ein unheimliches Lachen, das mir kalte Schauer über den Rücken jagte.
„Lucy, warum lachst du so?“
„Du weißt es nicht, meine allerliebste Mina?“, fragte Lucy und lenkte ihren wollüstigen Blick auf mich. Dann wandte sie mir den Rücken zu und schlief sofort ein.
Am nächsten Morgen wurde alles anders.
5
Kurz nach dem Frühstück begab ich mich allein zu einem Schreibwarenladen, der einige
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