Dracula, my love
Straßen entfernt lag, um Tinte für meinen Füllfederhalter zu kaufen. Nachdem ich meinen Einkauf erledigt hatte und auf die Straße trat, traf ich Herrn Wagner.
„Guten Morgen“, sagte er mit einem Lächeln.
„Herr Wagner.“ Bei seinem Anblick hellte sich meine Laune auf. Und doch konnte ich mich nicht überwinden, ihn meinerseits anzulächeln.
„Stimmt etwas nicht?“
Ja, dachte ich. Nichts hier stimmt. Weder die Gefühle, die ich für Sie empfinde ... noch die, die Sie für mich empfinden. Laut sagte ich: „Ich mache mir große Sorgen um meine Freundinnen. Beide fühlen sich nicht wohl.“
„Es tut mir leid, das zu hören. Kann ich irgendetwas tun?“
„Ich glaube nicht. Es sei denn, Sie kennen den Namen eines guten Arztes in Whitby.“
„Gern würde ich einige Erkundigungen diesbezüglich anstellen.“
„Das wäre wirklich außerordentlich freundlich, Sir.“
Genau in dem Augenblick trat eine untersetzte, rotwangige Frau, die ein paar Briefe in der Hand hielt, aus dem in der Nähe gelegenen Postamt. Sie erblickte mich und rief erstaunt: „Fräulein Murray!“
„O je“, sagte ich leise.
„Wer ist das?“, fragte Herr Wagner.
„Meine Pensionswirtin, Frau Abernathy, eine überaus schwatzhafte Dame.“
Wann immer ich in der Vergangenheit mit Herrn Wagner zusammen gewesen war, außer damals, als ich ihn im Pavillon Lucy vorstellte, war mir nie eine Menschenseele begegnet, die ich kannte. Nun kam Frau Abernathy näher und blieb vor uns stehen. Mit unendlicher Neugier musterte sie Herrn Wagner.
„Aber, aber, Fräulein Murray!“, sagte sie herzlich. „Wer könnte denn ihr gutaussehender Freund sein?“
Herr Wagner erwiderte ihren durchdringenden Blick und sagte mit leiser, tiefer Stimme: „Niemand Besonderer, Madam.“
Einen Augenblick lang stand Frau Abernathy wie festgenagelt da, den Mund vor Verwunderung offen. Dann wandte sie sich abrupt mir zu, als hätte sie Herrn Wagner plötzlich ganz vergessen, und sagte: „Das hier ist gerade für Sie gekommen, Fräulein Murray. Auf Wiedersehen.“ Sie drückte mir einen Brief in die Hand, drehte sich um und war fort, ehe ich ihr danken konnte.
„Oh!“, sagte ich glücklich.
„Ist der von Jonathan?“, erkundigte sich Herr Wagner.
„Nein, von seinem Arbeitgeber. Doch vielleicht hat er einen Brief von Jonathan mitgeschickt.“ Rasch öffnete ich den Umschlag. Er enthielt ein kurzes Begleitschreiben von Herrn Hawkins, und, wie ich gehofft hatte, einen weiteren Brief. Doch als ich den Absender sah, entfuhr mir ein besorgter Schrei.
„Was ist?“
„Der Brief, den er mir zugeleitet hat, trägt den Poststempel eines Krankenhauses in Budapest. Und die Handschrift erkenne ich nicht.“ Ich riss den Umschlag auf und überflog eilig die ersten Zeilen des darin enthaltenen Schreibens.
Hospital St. Joseph und Maria
Budapest, 12. August 1890
Wertes Fräulein,
ich schreibe Ihnen auf Wunsch des Herrn Jonathan Harker, der selbst noch nicht kräftig genug dazu ist, obgleich seine Heilung Fortschritte macht; wollen wir Gott und dem hl. Joseph und der hl. Maria dafür danken. Er befindet sich seit etwa sechs Wochen in unserer Pflege; denn er leidet an einem heftigen Nervenfieber. Er bittet mich, Ihnen seine Grüße zu senden ...
Diese Nachricht, die ich schon so lange mit Hoffen und Bangen herbeigesehnt hatte, erfüllte mich mit solchem Schmerz und solcher Erleichterung, dass ich in Tränen ausbrach.
Herr Wagner schaute mich besorgt an, während ich um Fassung rang. „Ist er ...?“
„O Sir“, rief ich unter Schluchzen, „man hat Jonathan gefunden! Er liegt in Budapest im Krankenhaus!“
„Ich hoffe, es geht ihm gut und er befindet sich in Sicherheit?“
„Ich weiß nicht. Ich muss unverzüglich nach Hause und den Brief zu Ende lesen. Bitte entschuldigen Sie mich.“
„Warten Sie. Fräulein Murray, Sie sind zu verstört. Bitte erlauben Sie mir, Ihnen behilflich zu sein. Ich begleite Sie nach Hause.“
„Nein! Es tut mir leid, aber ... Vielen Dank für ... Auf Wiedersehen, Sir. Adieu!“
„Adieu?“, wiederholte er erstaunt. Seine Augen verengten sich, und ein finsterer Ausdruck huschte über seine Züge, ein Ausdruck, der mir Angstschauer über den Rücken jagte.
Ich gab ihm keine weitere Antwort. Ich erstickte einen Schluchzer und rannte fort; den Brief hielt ich fest umklammert. Obwohl ich mich nicht umschaute, spürte ich die Hitze des Blickes, den Herr Wagner mir nachsandte, auch dann noch, als ich längst um die Ecke
Weitere Kostenlose Bücher