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Dracula - Stoker, B: Dracula

Dracula - Stoker, B: Dracula

Titel: Dracula - Stoker, B: Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bram Stoker
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beim Schein eines Streichholzes die Kehle des Kleinen. Sie zeigte nicht die geringste Wunde oder Schramme.
    »Und, hatte ich recht?«, fragte ich triumphierend.
    »Wir sind also gerade noch rechtzeitig gekommen«, sagte der Professor dankbar.
    Wir mussten uns nun überlegen, was mit dem Kind geschehen sollte. Wenn wir es auf einer Polizeiwache abgegeben hätten, wäre es nötig geworden, über unsere nächtliche Exkursion Auskunft zu geben, zumindest hätten wir eine Geschichte erfinden müssen, wie wir zu dem Kind gekommen waren. Das behagte uns nicht, und so beschlossen wir, es mit in die Heide zu nehmen, um es dann, wenn wir einen berittenen Polizisten kommen hörten, so abzulegen, dass er es keinesfalls übersehen konnte. Dann wollten wir so rasch wie möglich den Heimweg antreten. Alles gestaltete sich zu unserer Zufriedenheit: Schon am Rande von Hampstead Heath vernahmen wir die schweren Hufschläge einer Patrouille. Wir legten das Kind also auf den Weg und warteten, bis es der Polizist im Schein seiner hin- und herschwankenden |291| Laterne entdeckt hatte. Seinen lauten Ruf des Erstaunens hörten wir noch, dann schlichen wir geräuschlos fort. Ein willkommener Zufall wollte es, dass wir in der Nähe des »Spaniards« 3 eine Kutsche antrafen, die uns zurück in die Stadt brachte.
    Ich kann nicht schlafen, also habe ich diese Aufzeichnungen gemacht. Dennoch muss ich jetzt um jeden Preis versuchen, ein paar Stunden zu ruhen, weil mich van Helsing morgen Mittag wieder abholen will. Er besteht darauf, dass ich ihn auf einer weiteren Expedition begleite.
     
    27. September
    Es war zwei Uhr nachmittags geworden, bis wir eine günstige Gelegenheit für unser Vorhaben gefunden hatten. Das für die Mittagsstunde angesetzte Begräbnis war vorüber, und auch die letzten Nachzügler unter den Trauergästen hatten sich zerstreut. Aus einem Versteck hinter eine Gruppe von Erlen heraus beobachteten wir, wie der Friedhofswärter das Gitter hinter den Gästen zusperrte – wir wussten nun, dass wir, wenn es nötig sein sollte, bis zum Morgen freie Hand hatten. Der Professor hatte mir allerdings vorab versichert, dass wir höchstens eine Stunde benötigen würden. Wieder empfand ich die erschreckende Realität des Geschehens in einer Intensität, wie sie die Fantasie niemals erreicht. Auch machte ich mir die strafrechtlichen Folgen klar, mit denen wir bei Entdeckung unseres frevelhaften Werks zu rechnen hatten. Nebenbei gesagt, hielt ich die Sache für vollkommen zwecklos. War es schon empörend genug, ein Grab zu öffnen, um nachzusehen, ob ein vor einer Woche verstorbenes Mädchen wirklich tot sei, so erschien es mir als der Gipfel des Irrsinns, dasselbe Grab noch einmal zu öffnen, obwohl wir uns bereits durch eigenen Augenschein davon überzeugt hatten, dass der Sarg leer war. Ich zuckte daher nur die Schultern, schwieg aber, denn van Helsing hatte seine eigene Art zu handeln, ohne |292| Rücksicht darauf, ob man ihm widersprach. Er nahm den Schlüssel, öffnete das Gewölbe und ließ mich wieder in höflicher Weise vorangehen. So grauenhaft wie in der Nacht zuvor erschien mir der Ort nicht mehr, als der Sonnenschein hereinfiel, dafür aber unsagbar traurig. Van Helsing ging gleich auf Lucys Sarg zu, und ich folgte ihm. Er nahm den Deckel ab, beugte sich nieder und bog erneut das ausgeschnittene Blei zurück. Mich durchfuhr ein Schock der Überraschung und Bestürzung:
    Da lag Lucy, und sie sah ganz zweifellos genauso aus, wie wir sie in der Nacht vor ihrer Beerdigung gesehen hatten. Sie schien sogar, wenn dies denn möglich gewesen wäre, von noch strahlenderer Schönheit zu sein, und es war mir unfassbar, dass sie tot sein sollte. Ihre Lippen waren rot, röter als ich sie je bei ihr gesehen hatte, und auch auf ihren Wangen lag ein rosiger Schimmer.
    »Ist das irgendein Trick?«, fragte ich.
    »Überzeugt Sie das hier?«, gab der Professor als Antwort zurück, wobei er mit einer Hand die Lippen der Toten in die Höhe zog und mir die weißen, spitzen Zähne zeigte, dass mich schauderte.
    »Sehen Sie«, fuhr er fort, »sehen Sie doch nur, sie sind noch spitzer geworden! Mit diesen beiden hier«, er berührte einen der Eckzähne und den gegenüberliegenden, »könnten die Kinder wohl gebissen worden sein. Glauben Sie es nun, Freund John?« Aber immer noch war Widerspruchsgeist in mir, denn ich
wollte
einen derartigen Gedanken, wie er ihn mir aufzuzwingen versuchte, nicht akzeptieren. Ich brachte also ein letztes Argument vor,

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