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Dracula - Stoker, B: Dracula

Dracula - Stoker, B: Dracula

Titel: Dracula - Stoker, B: Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bram Stoker
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das Kind erneut auch nur für eine einzige Nacht ausbleibt, so könnte das unabsehbare Folgen haben. Ich nehme aber an, dass Sie es in der allernächsten Zeit nicht entlassen werden?«
    »Sicher nicht, frühestens in einer Woche. Vielleicht behalten wir es aber auch länger hier, wenn die Wunde noch nicht geheilt sein sollte.«
    |286| Unser Besuch im Hospital nahm mehr Zeit in Anspruch, als wir eingeplant hatten, und die Sonne war schon untergegangen, als wir das Haus verließen. Als van Helsing bemerkte, wie dunkel es bereits war, sage er:
    »Es ist zwar später geworden, als ich dachte, aber wir haben keine Eile. Kommen Sie, wir wollen irgendwo essen gehen, bevor wir uns an die Arbeit machen!«
    Wir aßen im »Jack Straw’s Castle« in Hampstead Heath, zusammen mit einer Gruppe von Radfahrern und anderen Ausflugsgästen, die sich ziemlich lärmend verhielten. Etwa um zehn Uhr verließen wir das Gasthaus. Es war sehr dunkel, und die vereinzelten Laternen ließen die Dunkelheit nur umso schwärzer erscheinen, wenn man aus ihrem Lichtkreis trat. Der Professor hatte sich den Weg, den wir zu gehen hatten, offenbar gut gemerkt, denn er schritt, ohne zu zögern, voran, während ich vollkommen im Unklaren war, wo wir uns befanden. Je weiter wir hinauskamen, desto seltener wurden die Passanten, sodass wir schließlich überrascht waren, einer berittenen Polizeipatrouille zu begegnen. Endlich erreichten wir die Friedhofsmauer und kletterten hinüber. Nicht ohne Schwierigkeiten – es war sehr finster, und der ganze Platz kam uns so fremd vor – gelangten wir zur Gruft der Familie Westenra. Der Professor nahm den Schlüssel, öffnete das knarrende Tor und ließ mir, indem er mir ganz unbewusst mit seiner gewohnten Höflichkeit Platz machte, den Vortritt. Diese Geste hatte in unserer unheimlichen Situation eine eigentümliche Ironie, denn sie bedeutete ja geradezu das Gegenteil der beabsichtigten Freundlichkeit. Van Helsing folgte mir auf dem Fuß, versicherte sich jedoch zuvor gründlich, dass das Schloss auch ein Öffnen von innen zuließ – andernfalls hätten wir in eine üble Lage geraten können. Nachdem er die Tür vorsichtig zugezogen hatte, kramte er eine Kerze und Streichhölzer aus seinem Koffer hervor und machte Licht. Die Gruft hatte schon am hellen Tag der Beerdigung und im Schmuck der frischen Blumen düster und unheimlich ausgesehen. Jetzt aber, |287| einige Tage später, war es noch fürchterlicher, als man es sich überhaupt ausmalen konnte: Das Weiß der Blumen war rostfarben, und ihr Grün war braun geworden, alles hing schlaff und tot herab. Spinnen und andere Krabbeltiere hatten ihr Reich wieder in Besitz genommen, eine Welt aus von der Zeit verfärbtem Gestein, staubbedecktem Mörtel und rostigem, feuchtem Eisen. Fleckiges Messing und mit Silber überzogene Verzierungen reflektierten schwach unser Kerzenlicht. Die Atmosphäre vermittelte die Erkenntnis, dass nicht nur das Leben, sondern dass einfach alles vergänglich ist.
    Van Helsing ging systematisch zu Werke. Er leuchtete mit der Kerze, von der das Wachs in dicken Tropfen herunterfiel, um auf dem kalten Metall der Särge zu erstarren, in der Gruft umher, und las die Inschriften. Endlich hatte er Lucys Sarg gefunden. Wieder suchte er in seinem Koffer und zog einen Schraubendreher hervor.
    »Was wollen Sie tun?«, fragte ich.
    »Ich will den Sarg öffnen. Sie sollen sich jetzt selbst überzeugen.« Augenblicklich begann er damit, die Schrauben herauszudrehen, worauf er den Deckel abhob, sodass der Innensarg aus Blei sichtbar wurde. Ich konnte seinem Tun kaum noch länger zuschauen; es kam mir so vor, als wäre dies der Toten gegenüber ein ebensolcher Affront, als hätte man der lebenden Lucy im Schlaf die Kleider vom Leib gerissen. Ich packte schließlich seine Hand, um ihn an Weiterem zu hindern, aber er sagte nur: »Sie
müssen
es sehen!« Dann kramte er wieder in seinem Koffer und brachte eine kleine Säge hervor. Mit einem schnellen, harten Abwärtsschlag des Schraubendrehers stach er ein Loch durch das Blei, sodass ich zusammenzuckte. Das Loch war gerade groß genug für die Spitze seiner kleinen Säge. Ich erwartete einen Strom von Verwesungsgasen, immerhin war der Leichnam im Sarg bereits eine Woche alt. Als Arzt sind mir derartige Gefahren natürlich bekannt, und so zog ich mich vorsichtshalber etwas in Richtung Tür zurück. Der Professor aber unterbrach seine Tätigkeit |288| keinen Augenblick. Er sägte den Bleisarg auf der einen Seite

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