Dracula - Stoker, B: Dracula
Freund, verstehen Sie denn nicht, dass ich Madame Mina eben vor dem grauenhaften Platz retten will, den ich betreten muss? Gott behüte, ich werde sie doch nicht mit hineinnehmen! Dort gibt es viel zu tun, Schlimmes zu tun, dessen Zeugin sie nicht werden sollte. Wir alle, außer Jonathan, haben mit unseren eigenen Augen gesehen, was geschehen muss, um so einen Ort zu reinigen. Denken Sie daran, dass wir in einer entsetzlichen Lage sind. Wenn es dem Grafen diesmal gelingt zu entkommen – und er ist immer noch stark und schlau –, so wird er sich vielleicht entschließen, für ein Jahrhundert zu schlafen. Und zur gegebenen Zeit wird unsere verehrte Madame Mina« – er ergriff meine Hand – »zu ihm kommen, um ihm Gesellschaft zu leisten, und sie wäre wie die anderen, die Sie, Jonathan, gesehen haben. Sie haben uns von ihren begehrlichen Lippen erzählt, Sie haben das grausige Gelächter gehört, als sie das zuckende Bündel packten, das ihnen der Graf zuwarf. Sie schaudern? Und dennoch könnte dieser Fall eintreten. Vergeben Sie mir, dass ich Ihnen Schmerz zufüge, aber es muss sein. Mein Freund, es ist eine schreckliche Pflicht, für die ich, wenn es sein muss, mein Leben hingebe. Wenn irgendeiner dort hineingehen muss, auf die |517| Gefahr hin, nicht wieder hinauszukommen, so werde ich das sein.«
»Tun Sie, wie Sie wollen«, sagte Jonathan mit einem Seufzer, der ihn am ganzen Körper zittern ließ. »Wir sind alle in Gottes Hand.«
Später
Oh, es tat mir gut zu sehen, wie diese tapferen Männer diskutierten. Wie könnte eine Frau diese Männer nicht lieben, die so ernsthaft, so aufrecht und so mutig sind? Und mir wurde auch wieder einmal die erstaunliche Macht des Geldes vor Augen geführt. Was vermag dieses nicht alles auszurichten, wenn man es richtig verwendet, und was richtet es an, wenn es auf gemeine Weise ausgegeben wird. Ich bin froh, dass Lord Godalming reich ist und dass er und Mr. Morris, der auch über bedeutende Mittel verfügt, unsere Sache so großherzig unterstützen. Denn würden sie das nicht tun, so könnte unsere kleine Expedition nicht so schnell und nicht so wohlausgerüstet starten, wie sie dies in einer Stunde tun wird. Noch keine drei Stunden sind vergangen, seit jedem von uns seine Rolle zugeteilt worden ist, und schon haben Lord Godalming und Jonathan eine schöne Barkasse, die unten am Fluss unter Dampf liegt, um jeden Augenblick abfahren zu können. Dr. Seward und Mr. Morris haben ein halbes Dutzend guter Pferde mit voller Ausrüstung erworben, und wir haben Karten und Reiseutensilien aller Art gekauft, die für unseren Zweck irgend in Betracht kommen könnten. Van Helsing und ich wollen mit dem Zug um 11:40 Uhr nachts nach Veresti reisen, um von dort aus eine Kutsche zum Borgopass zu nehmen. Wir haben ziemlich viel Bargeld bei uns, da wir den Wagen und die Pferde kaufen wollen. Wir werden selbst kutschieren, denn wir haben niemanden, dem wir in dieser Sache trauen könnten. Der Professor spricht viele fremde Sprachen, sodass wir uns wohl zu helfen vermögen. Alle sind bewaffnet, selbst ich habe einen großkalibrigen Revolver, denn Jonathan verlangte dies. Leider kann ich ein |518| anderes Kampfmittel, über das die anderen verfügen, nicht an mir tragen: Die Narbe auf meiner Stirn gestattet es nicht. Der gute Dr. van Helsing tröstete mich und sagte, ich sei hinreichend bewaffnet, um mich gegen Wölfe zur Wehr setzen zu können. Das Wetter wird stündlich kälter, und hin und wieder fegen schon Schneeschauer wie Drohungen über das Land.
Später
Ich musste meine ganze Kraft zusammennehmen, um mich von meinem geliebten Mann zu verabschieden. Wer weiß, ob wir uns lebend wiedersehen. Mut, Mina! Der Professor sieht mich scharf an, sein Blick ist eine Warnung: Es darf jetzt keine Tränen geben, so lange nicht, bis Gott mir wieder Freudentränen schenkt.
Jonathan Harkers Tagebuch
30. Oktober, nachts
Ich schreibe beim Schein des Dampfkessels unseres Schiffes, Lord Godalming heizt gerade ein. Er hat durchaus Erfahrungen damit, da er über mehrere Jahre ein eigenes Dampfboot auf der Themse, und ein zweites auf den Norfolk Broads 1 hatte. Bezüglich unserer Reisepläne sind wir zu der Überzeugung gelangt, dass Minas Schlussfolgerungen zutreffen: Wenn der Graf für die Flucht auf seine Burg einen Wasserweg gewählt hat, dann den Sereth und die Bistritza. Wir gehen davon aus, dass etwa auf 47 Grad nördlicher Breite die günstigste Stelle ist, um die Landstrecke
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