Dracula - Stoker, B: Dracula
ebenfalls einen Brief oder eine Nachricht gegeben haben muss, da Skinsky von allein zu Hildesheim gekommen ist. Bis hierhin war sein |512| Plan erfolgreich, wie wir wissen. Die »Zarin Katharina« machte eine so außerordentlich rasche Fahrt, dass selbst Kapitän Donelsons Verdacht erregt wurde, aber sein Aberglaube im Verein mit seiner Schlauheit kamen dem Grafen zupass, und Donelson fuhr mit dem günstigen Wind, dem Nebel zum Trotz, bis er ahnungslos in Galatz landete. Dass die Vorbereitungen des Grafen sehr sorgfältig getroffen waren, ist bewiesen. Hildesheim nahm die Kiste in Empfang, brachte sie fort und übergab sie Skinsky. Skinsky übernahm sie, und wir verloren die Spur. Wir wissen nur, dass die Kiste irgendwo auf dem Wasser schwimmt. Zoll und Behörden sind bislang umgangen worden.
Nun kommen wir zum Zweiten: Was hat der Graf hier nach seiner Ankunft
an Land
getan? Die Kiste war Skinsky vor Sonnenaufgang übergeben worden. Bei Sonnenaufgang aber konnte der Graf in eigener Gestalt erscheinen. Hier müssen wir uns doch fragen, warum Skinsky überhaupt zur Hilfeleistung herangezogen worden ist? Im Tagebuch meines Mannes ist Skinsky als ein Mann erwähnt, der mit den Slowaken, die den Fluss hinunter bis zum Hafen Handel treiben, Verbindung hat, und die Behauptung der Frauen, dass der Mord das Werk eines Slowaken wäre, zeigt die allgemeine Stimmung, die hier gegen dieses Volk herrscht. Der Graf aber wünscht Isolation. Meine Vermutung ist diese: In London beschloss der Graf, auf dem Wasser zu seiner Burg zurückzukehren, also auf dem sichersten und am wenigsten auffallenden Weg. Szigany hatten ihn damals von der Burg weggebracht, und wahrscheinlich haben diese ihre Ladung dann den Slowaken übergeben, die die Kisten nach Varna transportierten. Von dort aus sind sie dann nach London eingeschifft worden. Der Graf kannte also Personen, die eine solche Reise zu organisieren vermochten. Als dann die Kiste an Land war, kam er nach Sonnenuntergang und vor Sonnenaufgang heraus, traf mit Skinsky zusammen und instruierte ihn, wie er den Transport der Kiste auf einem der Flüsse zu organisieren habe. Als das geschehen und alles im Gange war, tötete er seinen Agenten, um, wie er meinte, |513| dadurch seine Spuren zu verwischen. Ich habe nun die Karte studiert und herausgefunden, dass die Flüsse Pruth und Sereth für die Slowaken am ehesten infrage kommen. Ich las in unseren Akten, dass ich in meiner Trance das Plätschern von Wasser direkt neben mir, Kühe und das Knarren von Holz gehört hatte. Der Graf musste also in seiner Kiste in einem offenen Boot auf einem Fluss transportiert worden sein, und zwar mithilfe von Rudern oder Stangen, denn es ging stromaufwärts und die Ufer waren in der Nähe. Wäre das Boot stromabwärts gefahren, so wäre das Krachen der Ruder oder Stangen nicht so laut zu hören gewesen. Ich bin der festen Überzeugung, dass nur der Sereth oder der Pruth in Betracht kommen, trotzdem dürfen wir aber unsere Nachforschungen nicht einstellen. Während der Pruth leichter zu befahren ist, hat der Sereth den Vorzug, dass er sich bei Fundu mit der Bistritza vereinigt, die den Borgopass umfließt. Die Schleife, die der Fluss macht, liegt so nahe an der Burg Dracula, dass diese bequemer gar nicht zu erreichen ist.
Mina Harkers Tagebuch
(Fortsetzung)
Als ich mit dem Vorlesen fertig war, nahm mich Jonathan in seine Arme und küsste mich. Die anderen schüttelten mir die Hand, und Dr. van Helsing sagte:
»Unsere liebe Madame Mina ist wieder einmal unsere Lehrerin. Ihre Augen allein waren sehend, wo wir blind waren. Jetzt haben wir die verlorengegangene Fährte wieder, und diesmal werden wir Erfolg haben. Unser Feind ist in seinem hilflosesten Zustand, und wenn wir ihn am Tage und auf dem Wasser stellen, so ist er verloren und unsere Aufgabe ist vollendet. Er hat zwar einen Vorsprung, aber er kann die Reise nicht beschleunigen. Und er darf seine Kiste nicht verlassen, um nicht den Verdacht derer zu erregen, die ihn transportieren. Man würde ihn nämlich |514| zweifellos in den Fluss werfen, was dann sein Ende wäre. Das weiß er, und er muss es verhindern. Nun zum Kriegsrat, lassen Sie uns hier und jetzt einem jeden seine Aufgabe zuteilen!«
»Ich besorge ein Dampfschiff und verfolge ihn«, sagte Lord Godalming.
»Und ich nehme Pferde und verfolge ihn am Ufer, falls er anlegen sollte« schloss sich Mr. Morris an.
»Gut,« sagte der Professor, »ich bin mit beidem einverstanden. Aber keiner
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