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Dracula - Stoker, B: Dracula

Dracula - Stoker, B: Dracula

Titel: Dracula - Stoker, B: Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bram Stoker
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ja so schwach. Das Ergebnis ist ein weiteres Opfer, einer mehr, der sich den finsteren und abstoßenden Reihen der Untoten zugesellt.
    Ganz ohne Zweifel, ich war fasziniert von ihr, und dass, obwohl sie in einem vom Alter zerfressenen und vom Staub der Jahrhunderte bedeckten Grab lag, über dem derselbe widerliche Geruch hing wie über den Verstecken des Grafen. Ja, ich war erregt – ich, van Helsing, mit allen meinen Vorsätzen und meinem begründeten Hass. In mir wuchs ein Verlangen, die Tat aufzuschieben, meine Kräfte schienen zu erlahmen, und meine Seele wurde schwer. Vielleicht war es die durchwachte Nacht, vielleicht die drückende Luft, was mich schließlich überwältigte. Gewiss ist jedoch, dass ich in einen schlafähnlichen Zustand hinüberdämmerte, einen Schlaf mit offenen Augen wie bei jemandem, der sich ganz und gar einem süßen Zauber ergibt. Doch da |538| erklang plötzlich durch die schneeklare Luft ein lang gezogener Klagelaut voller Schmerz und Trauer, der mich durchfuhr wie Posaunentöne. Ich schrak hoch, denn es war die Stimme Madame Minas, die ich hörte!
    Sofort raffte mich wieder auf, um meine furchtbare Aufgabe fortzuführen. Ich wuchtete nacheinander die vorhandenen Grabplatten hoch und fand bald die andere dunkelhaarige Schwester. Um nicht noch einmal der Faszination zu erliegen, vermied ich es, sie länger anzusehen. Stattdessen setzte ich meine Suche fort und entdeckte in einem hohen, reich verzierten Steinsarg, der auf eine besondere Verehrung schließen ließ, die dritte, blonde Schwester. Ihr Anblick war kaum zu ertragen: Sie war so strahlend schön, so außerordentlich verlockend, dass mein männlicher Instinkt, der mein Geschlecht dazu treibt, die Frauen zu lieben und zu beschützen, mich erneut in größte Erregung versetzte. Gott sei es gedankt, dass der Klageschrei meiner lieben Madame Mina mir aber noch immer in den Ohren klang, denn so konnte der Zauber mich nicht mehr besiegen. Ich zwang mich, mein Werk zu vollenden. Soweit ich es erkennen konnte, hatte ich alle Gräber der Kapelle untersucht. Und da uns in der letzten Nacht nur drei Phantome heimgesucht hatten, ging ich davon aus, dass keine weiteren Untoten zu entdecken seien. Einzig ein großer Hochsarg war übrig, der sich in Ausstattung und Proportionen deutlich von allen anderen abhob. Seine Inschrift bestand aus nur einem Wort:
    DRACULA
     
    Das also war die Ruhestätte des Königsvampirs, dem so viele andere untertan sind. Dass der Sarg leer war, überzeugte mich restlos von dieser ohnehin offenkundigen Tatsache. Bevor ich daranging, die drei Frauen durch meine schwere Arbeit in ihr wahres, totes Selbst zurückzuverwandeln, legte ich in Draculas Grab eine Hostie und verbannte ihn, den Untoten, damit für immer aus seinem Zufluchtsort.
    |539| Dann begann die schreckliche, von mir selbst gefürchtete Aufgabe. Mit nur einer Frau wäre es mir vergleichsweise einfach vorgekommen, aber gleich drei auf einmal? Noch zweimal neu beginnen zu müssen, nachdem man den Horror endlich durchgestanden hat? War es schon schrecklich genug bei der guten Lucy, wie musste es dann erst bei diesen Wesen hier werden, die Jahrhunderte überlebt und ihre Kräfte im Laufe der Zeiten ins Unermessliche verstärkt haben mussten! Wie würden sie ihr verdorbenes, unechtes Leben verteidigen, wenn Sie Gelegenheit dazu bekämen …
    Mein lieber Freund John, es war wahrhaftig die Arbeit eines Metzgers. Hätte mir nicht der Gedanke an andere Tote und an die Lebenden, über deren Häuptern eine so furchtbare Gefahr schwebte, die Kraft gegeben, so hätte ich wohl versagt. Ich zitterte, und ich zittere jetzt noch, aber Gott sei Dank hielten meine Nerven stand, bis alles vorüber war. Hätte ich im Gesicht der ersten Frau nicht den Frieden und die Freude gesehen, die kurz vor der endgültigen Auflösung noch darin wie eine Bestätigung erglänzten, dass ihre Seele nun erlöst sei, ich hätte die Schlächterei nicht durchgestanden. Ich hätte das entsetzliche Knirschen, das der Pfahl beim Einschlagen in den Leib verursachte, nicht zu ertragen vermocht, ebenso wenig wie den Anblick der sich windenden Körper und den blutigen Schaum auf den Mündern. Ich wäre entsetzt geflohen und hätte mein Werk unvollendet gelassen. Aber nun ist es vollbracht! Jetzt kann ich die armen Seelen bedauern und um sie weinen, und wenn ich an sie denke, so sehe ich nur die ruhigen, erlösten Gesichter ihres letzten kurzen Augenblickes vor mir. Denn, Freund John, kaum hatte mein

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