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Dracula - Stoker, B: Dracula

Dracula - Stoker, B: Dracula

Titel: Dracula - Stoker, B: Dracula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bram Stoker
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Vor uns aber und in nicht allzu großer Ferne erblickte ich eine Gruppe berittener Männer, die offensichtlich in größter Eile waren. In ihrer Mitte hatten sie ein Fahrzeug, einen langen Leiterwagen, der auf der unebenen Straße von einer Seite zur anderen schwankte, ganz wie der wedelnde Schwanz eines Hundes. Da die Männer sich so scharf von dem weißen Schnee abhoben, konnte ich anhand ihrer Kleidung erkennen, dass es Bauern oder Szigany sein mussten.
    Auf dem Wagen befand sich eine große, viereckige Kiste. Mein Herz pochte, als ich sie sah, denn ich wusste, dass nun das Ende nahte. Aber auch der Abend begann sich bereits niederzusenken, und ich wusste ebenso, dass dieses Ding dort in der Kiste bei Sonnenuntergang neue Freiheit erhielt und sich in vielfältiger Gestalt jeder Verfolgung entziehen konnte. In meiner Angst drehte ich mich nach dem Professor um, der zu meinem Erschrecken nicht mehr neben mir stand. Einen Augenblick später entdeckte ich ihn aber am Fuße des Felsblocks; er hatte einen Ring um uns gezogen, gleich dem, der uns die letzte Nacht geschützt hatte. Nachdem er damit fertig war, kam er wieder zu mir herauf und sagte:
    »Wenigstens
Sie
sollen hier vor ihm sicher sein!« Dann nahm er mir das Fernglas aus der Hand und blickte, als der Schnee einen Augenblick weniger dicht fiel, angestrengt hinaus. »Sehen Sie nur, wie schnell sie sind!«, sagte er. »Sie peitschen ihre Pferde und galoppieren, so rasch sie nur können.« Er schwieg eine kurze Weile, dann fügte er mit düsterer Stimme an:
    »Sie fahren mit dem Sonnenuntergang um die Wette. Vielleicht sind wir zu spät, Gottes Wille geschehe!« Ein neuer Schneeschauer wirbelte hernieder und verhüllte die ganze Landschaft vor unseren Blicken. Nachdem die Sicht wieder freier geworden |543| war, richtete der Professor sein Fernglas abermals auf die weite Ebene. Plötzlich schrie er auf:
    »Sehen Sie, Madame Mina, sehen Sie doch! Da kommen zwei Reiter rasch von Süden heran, das müssen Quincey und John sein. Da, hier haben Sie das Fernglas, schauen Sie rasch, bevor der Schnee uns wieder die Sicht nimmt!« Ich nahm den Feldstecher und sah hinüber. Die beiden Männer mussten wirklich Dr. Seward und Mr. Morris sein, denn ich erkannte zweifelsfrei, dass mein Jonathan nicht dabei war. Zugleich war ich aber davon überzeugt, dass auch er nicht mehr fern sein konnte. Und richtig: Ich sah herum und bemerkte weiter nördlich noch einmal zwei Reiter, die mit halsbrecherischer Geschwindigkeit dahersprengten. Einer von ihnen war Jonathan, das wusste ich gewiss, also musste der andere Lord Godalming sein. Natürlich verfolgten auch sie die Gruppe mit dem Wagen. Als ich dem Professor darüber Bescheid gab, jauchzte er wie ein Schuljunge auf und beobachtete das Rennen so lange, bis ihm ein neuer Schneewirbel die Aussicht nahm. Dann ergriff er seine Winchesterbüchse und lehnte sie schussfertig gegen den Felsblock am Eingang unserer Höhle. »Sie treffen zugleich ein«, sagte er. »Wenn es soweit ist, werden wir die Szigany von allen Seiten fassen.« Unterdessen schien das Heulen der Wölfe schnell näherzukommen, und ich holte meinen Revolver hervor. Sobald das Schneetreiben etwas nachgelassen hatte, hielten wir wieder Ausschau. Es war seltsam, während in unserer nächsten Umgebung der Schnee in schweren Flocken herabfiel, wurde die Sonne draußen im Niedersinken immer freundlicher, je weiter sie sich den fernen Bergspitzen zuneigte. Ich suchte die weite Schneefläche mit dem Fernglas ab und bemerkte nun auch dunkle Punkte, die sich vereinzelt oder in größeren Gruppen auf uns zu bewegten – die Wölfe hatten ihre Witterung aufgenommen.
    Jeder Augenblick, den wir warten mussten, erschien uns wie eine Ewigkeit. Der Wind brauste in wilden Stößen heran, und der Schnee wirbelte wie toll um uns herum. Zeitweise konnten |544| wir nicht die Hand vor den Augen erkennen, dann aber wieder, wenn die heulenden Windstöße an uns vorbeigefegt waren, schien sich der Raum um uns aufzuhellen, und es bot sich ein weiter Ausblick. In der letzten Zeit hatten wir uns so sehr nach den Auf- und Untergängen der Sonne gerichtet, dass wir deren exakte Zeitpunkte mittlerweile sehr gut abschätzen konnten. Es war nun nicht mehr lange bis zum Sonnenuntergang.
    Wir mochten unseren Uhren gar nicht glauben, dass deutlich weniger als eine Stunde vergangen sein sollte, seit wir unser Felsenversteck gefunden und die verschiedenen Abteilungen entdeckt hatten, die sich auf uns zu bewegten.

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