Dracula - Stoker, B: Dracula
nach der Fütterung, als ich Lärm vernahm. Ich machte gerade Streu zurecht für einen jungen Puma, der krank ist. Als ich das Bellen und Heulen hörte, eilte ich sofort herbei. Es war Berserker, der wie verrückt am Gitter hinaufsprang und heulte, als ob er hinaus wollte. Es waren an diesem Tag nicht gerade sehr viele Leute da, und in seiner Nähe befand sind nur ein einzelner Mann – ein großer, hagerer Mensch mit Hakennase und spitzem Bart, der schon allerhand Weiß zeigte. Er hatte strenge, kalte rote Augen, und ich empfand ein gewisses Unbehagen bei seinem Anblick. Irgendetwas war an ihm, das mir gar nicht gefiel. Er trug weiße Lederhandschuhe, mit denen er auf die Tiere deutete, während er mich ansprach: ›Sie, Wärter, diese Wölfe scheinen sich über irgendetwas aufzuregen.‹
›Vielleicht über Sie‹, sagte ich, denn ich konnte den Kerl nicht ausstehen. Er wurde aber gar nicht ärgerlich, wie ich es gern gehabt hätte, sondern lächelte mit einer unverschämten, höhnischen Miene, wobei in seinem Mund weiße, spitze Zähne sichtbar wurden. ›Oh nein‹, sagte er, ›mich möchten sie garantiert nicht fressen.‹
›Oh doch, das möchten die wohl‹, sagte ich, ihn nachahmend. ›Die nehmen ganz gern ein paar alte Knochen wie Sie zum Nachtisch, um ihre Zähne zu reinigen.‹
Merkwürdig war, dass die Tiere, als sie uns miteinander sprechen sahen, sich niederlegten, und dass Berserker sich, als ich zu ihm hinging, wie gewöhnlich die Ohren kraulen ließ. Dann kam |204| auch dieser Mann heran und sagte, er wolle ebenfalls in den Käfig greifen und die Ohren des alten Wolfes kraulen.
›Nehmen Sie sich in acht‹, sagte ich, ›Berserker ist flink!‹
›Machen Sie sich keine Sorgen‹, antwortete er, ›ich kenne mich aus.‹
›Sind Sie etwa auch in unserer Branche?‹, fragte ich ihn und nahm meinen Hut ab. Schließlich muss sich ein Wärter mit Leuten gutstellen, die mit Wölfen und anderen Wildtieren handeln.
›Nein‹, sagte er, ›nicht genau in dieser Branche, aber ich habe schon so einiges gezähmt.‹ Damit zog er den Hut wie ein Lord und ging weiter. Der alte Berserker sah ihm eine Zeit lang nach, dann drehte er sich um und legte sich in eine Ecke, aus der er den ganzen Abend nicht mehr herauskam. Nun, letzte Nacht, gerade als der Mond aufgegangen war, begannen alle Wölfe hier zu heulen. Es war überhaupt kein Grund ersichtlich, warum sie heulten. Nichts war zu hören als die Rufe eines Mannes draußen in der Park Road, der wohl seinen Hund suchte. Ein oder zwei Mal ging ich hinaus, um nachzusehen, ob alles in Ordnung sei. Ich fand aber nichts zu beanstanden, und auch das Heulen war bald vorüber. Kurz bevor es dann zwölf schlug, unternahm ich noch einmal eine letzte Runde vor dem Schlafengehen – und, hol’ mich der Teufel, als ich an den Käfig des alten Berserker kam, fand ich die Gitterstäbe zerbrochen und den Käfig leer. Und das ist alles, was ich mit Bestimmtheit weiß.«
»Ja, hat sonst niemand etwas bemerkt?«
»Einer unserer Gärtner kam um diese Zeit von seiner Singegruppe nach Hause und sah einen großen grauen Hund durch die Hecke schlüpfen. Wenigstens sagt er so, aber ich gebe nicht viel darauf, denn er hat seiner Frau daheim gar nichts davon erzählt. Erst als wir die ganze Nacht den Park nach Berserker abgesucht hatten und die Sache mit dem Wolf bekannt wurde, da fiel es ihm plötzlich ein, dass er etwas gesehen hätte. Meine Meinung ist, dass ihm das Singen in den Kopf gestiegen war.«
|205| »Und Sie, Mr. Bilder, können Sie sich den Ausbruch des Wolfes in irgendeiner Weise erklären?«
»Gewiss kann ich das, Sir«, erwiderte er mit einer verdächtigen Bescheidenheit, »aber ich glaube, dass Sie mit meiner Erklärung nicht ganz zufrieden sein werden!«
»Aber sicher werde ich zufrieden sein. Wenn ein Mann wie Sie, der die Tiere doch aus langer Erfahrung kennt, keine geeignete Lösung des Rätsels anbieten könnte, wer sollte es denn dann können?«
»Nun, Sir, ich kalkuliere so: Ich glaube, der Wolf ist ausgebrochen, weil er einfach rauswollte!«
Aus der herzlichen Art, in der Thomas und seine Frau lachten, schloss ich, dass der Wärter diesen Witz schon etliche Male gemacht haben musste und dass diese Erklärung ein erprobter Scherz war. Auf dem Gebiet des Humors konnte ich es mit Thomas Bilder sicher nicht aufnehmen, aber ich meinte einen direkteren Weg zu seinem Herzen zu kennen und sagte:
»Mr. Bilder, wir wollen diesen halben Sovereign als von Ihnen
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