Draculetta: Eine Bestürzung in Transsylvanien (German Edition)
sagte mein Fahrer kein Wort, und ich wagte nicht, ihn um die eine oder andere touristische Erläuterung zu bitten. Er saß aufrecht wie eine Wachsfigur am Steuer, und nicht nur einmal beschlich mich die Angst, er könne eingeschlafen oder verschieden sein, und der Wagen führe herrenlos ins weite Land.
I ch zog mein Smartphone aus der Tasche, um festzustellen, wo wir uns befanden. War ich im Banat? Von dieser sagenhaften Gegend hatte ich gehört, daß sie viele Dichter hervorgebracht habe. Eine Dichterin von dort habe sogar den Nobelpreis für Literatur erhalten und schleiche nun mit bleichem Gesicht jeden Samstag über den Friedenauer Markt in Berlin. War das Siebenbürgen oder Transsylvanien? Ich hatte keinen Empfang auf meinem Telephon und konnte mich nicht orten. Es kam mir aber so vor, als ob die Türme und Tore der kleinen Stadt, die mit einem Mal neben uns auftauchte, zu Bistritz gehörten, und daß es sich bei der Bergstraße, auf welcher der Wagen nun emporschnellte, ohne an Geschwindigkeit einzubüßen, um den Borgo-Paß handeln müsse. Als das Automobil den Engpaß hinauf flitzte, am Gipfel einen kleinen Sprung tat und ins Tal hinab raste, als sich hier ein völlig neues, dunkelblaues Licht auftat, wir scheinbar in eine andere Welt eindrangen, da wußte ich, daß ich endgültig übers Ziel hinausgeschossen war und es kein Zurück mehr gab. Die Stadt, die sich unten abzeichnete, war Timișoara oder Temeschwar; ich zog den altösterreichischen Namen Temeschburg vor. Ich erkannte die Metropole sofort an ihrer Silhouette, die von der Burg dominiert wurde, einer von sieben Burgen, von welchen das Land Siebenbürgen seinen Namen erhielt.
Die grauen Zacken und Türme flößten mir schon von weitem Schrecken ein, zugleich konnte ich nicht sagen, ob ich wirklich die Temeschburg vor mir sah, oder ob Übermüdung und Streß vor meinen Augen eine Angstphantasie geschaffen hatten. Während es vom Flugzeug so aussah, als throne die Burg inmitten der Stadt, muß man in Wirklichkeit nicht nur durch diese hindurch, sondern auch lange aus ihr hinausfahren, um zu dem mit vielen Zacken umgebenen Felsen zu gelangen, auf dem die Burg sich erhebt. Erwartet man bei der Auffahrt zur Temeschburg über einen in jeder Kurve auf äußerste beängstigenden Serpentinenweg noch einen Überblick über die Stadt zu genießen, so verschwindet diese in Wirklichkeit unter einer Wolkendecke. Der stumme Chauffeur, der den Kurven zum Trotz gerade wie eine Wachspuppe im Wagen saß, sauste dem die Burg umgebenden Graben entgegen, und ich wollte ihm schon ein warnendes Wort zurufen, als im letzten Moment eine Zugbrücke von der Burg mehr herabstürzte als sich herabzusenken. Mit donnerndem Krach rastete sie in die Zufahrtsstraße ein, und mein Fahrer fuhr ohne die Geschwindigkeit auch nur um ein Quentchen zu drosseln über die Brücke durch das hohe Tor in den Burghof, wo er den alte Kraftwagen quietschend zum Stehen brachte, so daß ich an den Vordersitz prallte.
Dann war alles still. Der Fahrer regte sich nicht und saß immer noch stocksteif vor dem Lenkrad. Langsam gewannen die Mauern und Gebäude des Burghofes Kontur. Ohne daß ich bemerkt hätte, daß der Fahrer ausgestiegen war, öffnet er mir plötzlich die Wagentür. Er trug die Tasche mit meinen Habseligkeiten, die mir inzwischen als eine viel zu dürftige Ausrüstung für die bevorstehende Operation erschienen. Als ich aus der Benzinkutsche stieg und ein Hauch von Abgasen sich verflüchtigte, begann ich saubere Landluft zu schnuppern, ja sie schien sogar reiner zu sein als die Luft, wie ich sie in meinem Heimatdorf Maria Elend im Rosenthal geatmet hatte. Die Temeschburg schien außerhalb der Zivilisation zu liegen.
Der Chauffeur ging auf das Herrenhaus zu, meine Tasche in der Hand. Ich blieb einen Moment im Burghof zurück und schaute nach oben. Die Nacht schwieg. Nicht einmal einen Vogel hörte man hier, keinen einzigen. Der Himmel über Transsylvanien war gestochen klar. Die Schönheit der Sterne war nur mit denen von Maria Elend zu vergleichen. So stand ich eine Weile im leeren Burghof und wartete darauf, daß mich jemand abhole. Doch ich blieb allein. Da war nur die offene Tür des Herrenhauses, in dem kein Licht brannte. Schließlich, in der Befürchtung, ich könnte mir unbekannte höfische Sitten mißachten und die Fürstin warten lassen, trat ich durch die dunkle Pforte in die Burg ein. Auch hier dauerte es eine Weile, bis meine Augen im Dunkeln sahen. Ich tastete mich an der
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