Draculetta: Eine Bestürzung in Transsylvanien (German Edition)
die Faust eines Boxers. In diesem Moment mußte ich an all jene denken, die ich versucht hatte zu verdrängen; all die Männer, die vor mir in dieser Burg vorgesprochen hatten, gute Männer, mächtige Männer, Herren von Einfluß und Reichtum, gegen die ich nur ein Würstchen war, und die doch ohne Ausnahme die Burg auf der Bahre verlassen hatten. Der Spitzname der Fürstin, Draculetta, fiel mir wieder ein, und ich konnte den Verdacht nicht beiseite schieben, daß das Volk von Transsylvanien, welches ihr diesen Namen gab, womöglich über eine gewisse Volksweisheit verfügte.
6
»Lassen Sie sich nicht von Gerüchten verschrecken, welche Folklore und Fremdenverkehr in die Welt setzen«, neckte die Comtesse, als hätte sie von meiner feuchten Stirn die Gedanken abgelesen. »Man versucht, Temeschburg, ja ganz Transsylvanien interessanter zu machen, als es ist, nur um etwas vom Tourismusstrom in unsere Gegend zu lenken. Vergeblich übrigens. Wer reist schon in diese Gefilde, wenn er für das gleiche Geld auf die Seychellen fliegen kann!«
Die Vorstellung, jetzt mit meiner Frau und den drei Kindern irgendwo am Strand zu liegen, anstatt in dieser dunklen Burg einer womöglich noch dunkleren Zukunft entgegenzugehen, schnitt durch mein Herz wie ein Rasiermesser. Ich verfluchte Sardonius Spork, der mich in diese Lage gebracht, ich verfluchte den Rumänischen Drachenorden, der auf diesem Dienst bestanden, und ich verfluchte vor allem mich selbst, der ich wieder einmal nicht hatte Nein sagen können, weil Neugier und Furcht wie immer die Oberhand behalten hatten.
Ich war froh, als mich die Comtesse in den nächsten Raum führte, denn die Kuppel über mir flößte auch ohne Loch Unbehagen ein. Mit beiden Händen öffnete die Kleine eine Doppeltür, hinter der sich eine Reihe von Sälen und Räumen auftat, die ineinander übergingen, und die an den Seiten von Zimmern, Kammern und Nischen flankiert waren. Wer je die Vorstellung von einer Burg oder einem Schloß als einer wohlgeordneten Anlage gehabt hatte, der wurde in der Temeschburg eines besseren belehrt. Ein Zimmerchen glich mit lauter durcheinander stehenden Möbeln, deren Stil mitnichten zusammenpaßte, einem Antiquitätengeschäft, darauf folgte eine unaufgeräumte Bibliothek, die mit ihren Bücherstapeln an ein Antiquariat erinnerte, daran schloß sich ein leerer Vorsaal an, der wiederum in einen mit durchlöcherten Sesseln bestückten Wartesaal überging, von dem man durch eine Halle in einen Audienzsaal gelangte, über dessen abgeschabtem Thron ein Vorhang in Fetzen hing. Dann folgten ein Staatssaal, ein Festsaal, ein Prachtsaal, ein Kronsaal und ein Tanzsaal. Durch eine Tapetentür gelangte man in einen Salon, von dort in ein Gemach, aus diesem in ein Zimmer, an welches eine Halle grenzte, von der eine Kemenate abging. Der Kleinbürger in mir rechnete zusammen, welche Werte hier brach lagen und welche Preise man auf dem Floh- und Kunstmarkt für den Plunder hätte erzielen können, besonders, wenn man alles etwas abgestaubt und aufpoliert hätte. Doch die Fürstin schien keinen Wert darauf zu legen, ihr Leben zu entrümpeln. Ich hatte, mit und ohne Familie, schon einige Schlösser besichtigt, doch weder die Würzburger Residenz noch Versailles, noch das vertrackteste Loireschloß war mir so durcheinander vorgekommen wie die Temeschburg. Viele Jahrhunderte hatten dieses Puzzle ohne Sinn zusammengesetzt.
Zwei Dinge waren mir indes aufgefallen: Die Comtesse führte mich mitnichten durch alle Zimmer der Burg. Viele Türen blieben verschlossen, und sie machte keine Anstalten, sie zu öffnen, ja sie schien einen Bogen um manchen Zugang, manches Portal zu machen. Und zweitens: Die Burg wies viele ideale Stellen für Spiegel auf, etwa über Kaminen und Kredenzen. Doch nirgends befand sich ein solcher. Soviel Bilder, Gemälde, Hirschgeweihe und Kuriositäten überall herumhingen; Spiegel gab es keine. Wir durchschritten sogar einen Spiegelsaal ohne Spiegel. Dieser Saal, größer als der in Versailles und sogar als der in Herrenchiemsee, warf ein lähmendes Gefühl über jeden, der hindurchschritt. Denn wo in den Schwestersälen in Frankreich und Bayern Spiegel waren, klafften hier graue Lücken, und nur Schatten an der Wand verrieten, daß hier Spiegel gehangen hatten. Was war der Grund dafür, daß man die Gläser entfernt hatte? Mochte die Fürstin ihr eigenes Spiegelbild nicht? War ihre äußere Erscheinung abstoßend? Die
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