Drahtzieher - Knobels siebter Fall
er schweißgebadet gerissen worden war, flackerten dämonenhaft durch sein Unterbewusstsein. Die Stimme duldete keine Nachfragen. Wanninger bebte. Der Anruf war längst beendet, als er das Handy auf den Tisch warf. Sein Herz raste. Er hielt die Hände schützend vor seine Brust, übte das ruhige Atmen, bewegte sich wiegend hin und her. Irgendwann dämmerte er wieder weg. Das T-Shirt klebte an seinem Oberkörper.
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Stephan recherchierte am nächsten Vormittag im Internet Informationen über die Emission von Siliciumdioxid bei der Cleanochem AG im Hafengebiet. Da der Zwischenfall bis auf die üblichen Unmutsbekundungen der Anwohner und der Hobbygärtner in der Kleingartenanlage an der Hafenwiese folgenlos geblieben war, fanden sich nur wenige Hinweise auf diesen Vorfall, dessen Bedeutung sich im Wesentlichen darin erschöpft hatte, ein optisches Schauspiel geboten zu haben. Stephan interessierte eine genaue Beschreibung des Gebietes, in dem die emittierte Substanz verstärkt niedergegangen war, fand jedoch keine. Liekes Wagen musste während des Niederschlags an einer Stelle geparkt gewesen sein, an der der Stoff in relativ starker Konzentration niedergegangen war, was zunächst auf eine örtliche Nähe zur Cleanochem AG schließen ließ, in der Konsequenz jedoch nicht zwingend war. Das ausgestoßene Siliciumdioxid war leicht wie Puder und konnte schon bei geringen Wind recht weit getragen werden, weshalb in den Zeitungsartikeln davon geschrieben wurde, dass auch Anwohner in einigen Kilometern Entfernung noch Spuren dieses Stoffes auf ihren Autos und Häusern gefunden hatten. Ein Blick auf die Wetterdaten des 12. September zeigte, dass damals leichter Westwind herrschte, was zumindest vom Werk der Cleanochem AG aus gesehen die Richtung vorgab, in der Liekes Wagen recht ungeschützt gestanden haben musste. Der Umstand, dass das Dach relativ gleichmäßig von Siliciumdioxid bedeckt war, ließ darauf schließen, dass in der Nähe keine Bäume oder Gebäude standen, die den freien Niederschlag auf das Auto behindert hätten. Es sprach einiges dafür, dass der Wagen in Fahrtrichtung Osten geparkt worden war, weil an der Heckseite Spuren der Substanz bis herab auf die Stoßstange hafteten, was unwahrscheinlich gewesen wäre, wenn er mit dem Heck auf der Wind abgewandten Seite gestanden hätte. Weitere Erkenntnisse ließen sich jedoch nicht gewinnen. Ein Blick auf den Stadtplan zeigte, dass neben der unmittelbar in der Nähe des Werks vorhandenen Industriebebauung nur ein Standort innerhalb des anschließenden Wohnviertels in der Dortmunder Nordstadt in Betracht kam, hier vorzugsweise am Rande einer Straße, die in West-Ost-Richtung verlief und nicht begrünt war. Es gab etliche Straßen, die diese Kriterien erfüllten, doch es schien wenig Erfolg versprechend, ohne weitere Anhaltspunkte hier fündig zu werden.
Stephan rief Anne van Eyck an, um ihr von seinen Gedanken zu berichten, doch sein Anruf war nur ein pflichtschuldiger Akt, zu dem er sich getrieben fühlte, weil ihn ein unbestimmtes Störgefühl beschlich. Er erfragte geschickt Einzelheiten zu dem letzten Gespräch zwischen Anne van Eyck und Gisbert Wanninger, und Anne erzählte unbekümmert, dass sie sich die von der Polizei gefundenen Spuren nicht erklären konnte und deshalb mit dem Journalisten gesprochen habe.
»Er hat immer so frische Ideen«, lobte sie und fühlte zugleich, mit dieser Aussage Stephans Arbeit zu entwerten. »Natürlich schätze ich Ihre grundsolide Arbeit, Herr Knobel«, beschwichtigte sie. »Sonst wäre ich längst abgesprungen.«
Stephan merkte deutlich, dass es in ihrem Telefonat mit Wanninger um die Fantasie gegangen sein musste, die Stephan nach Auffassung des Journalisten Stephan fehlte und ihn deshalb daran hinderte, den Pfad zur Lösung des Falles zu sehen.
»Machen Sie nur weiter so, Herr Knobel!«, bat seine Mandantin. »Oder verlieren Sie etwa den Mut?«
Stephan verneinte. Auch um den Mut war es in dem gestrigen Gespräch mit Wanninger gegangen. Er beendete das Gespräch, unsicherer in seiner Meinung über Anne van Eyck, als er es zuvor gewesen war, und ohne dass er benennen konnte, was ihn störte.
Stephan nahm noch einmal die staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakte zum Unfalltod von Lieke van Eyck zur Hand, blätterte alle Seiten durch und studierte ihren Inhalt ein zweites Mal. Seine Erfassung über die in dieser Sache aufgewendeten Arbeitsstunden hatte eine stattliche Länge bekommen. Es stand außer Frage, dass er sich
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