Drahtzieher - Knobels siebter Fall
diesem Fall niemals in diesem Umfang hätte widmen können, wenn seine Kanzlei mit anderen Mandaten ausgelastet gewesen wäre.
Stephan betrachtete das Schreiben der Essener Großkanzlei, die Mitte März gegenüber der Staatsanwaltschaft Essen die Vertretung von Anne van Eyck und schon wenige Tage später die Beendigung des Mandats anzeigte. Anne van Eyck hatte Stephan erzählt, dass sie in dieser Sache bereits andere Rechtsanwälte beauftragt hatte. Eigenartig erschien nur, dass die Essener Kanzlei das Mandat erst angenommen und dann schnell wieder niedergelegt hatte.
Stephan hatte sich das Profil der Kanzlei zuvor im Internet angesehen und daraus erfahren, dass es sich bei dem seinerzeit Anne van Eyck vertretenden Kollegen Dr. Suselkamp um einen Fachanwalt für Strafrecht handelte, Partner der Sozietät und augenscheinlich einer ihrer führenden Köpfe. Er rief Suselkamp an.
Stephan erklärte, Anne van Eyck zu vertreten und gab vor, einige Unterlagen zu benötigen, die er für die Bearbeitung der Sache brauche, von seiner Mandantin allerdings nicht beigebracht werden könnten und sich mutmaßlich noch in der früheren Kanzlei befinden müssten.
»Sicher nicht!«, beschied der Kollege knapp. »Wir haben kein einziges Blatt. Ich erinnere mich noch genau. Es gibt höchstens einen Aktenvermerk. Die Sache ist längst weggelegt.«
»Darf ich fragen, woran das Mandat scheiterte?«, erkundigte sich Stephan.
»Haben Sie denn schon in dieser Sache Geld gesehen?«, fragte der Kollege zurück.
»Nein, ich …«
»Na, sehen Sie«, kommentierte Dr. Suselkamp überlegen.
»Aber Sie werden doch nicht sofort nach Mandatsübernahme abgerechnet haben«, hielt Stephan dagegen.
»Es geht doch um diesen Unfalltod?«, vergewisserte sich der Kollege. »Wir reden doch über diese Mandantin, die nicht wahrhaben will, dass ihre Schwester durch einen Unfall ums Leben gekommen ist? – Es war Alkohol im Spiel, wenn ich mich recht erinnere.«
Stephan bejahte.
»So sehr Mandate dieser Art menschlich verständlich sein mögen, Herr Knobel«, antwortete Dr. Suselkamp gönnerhaft: »Die Wahrscheinlichkeit, dass sich hinter einer solchen Geschichte eben nicht das geheime Komplott verbirgt, sondern nur ein trauriges, aber alltägliches Unfallschicksal, ist recht groß. Wenn also Mandanten wünschen, dass ich meine Nase tief in eine solche Geschichte stecke, an der aller Voraussicht nach nichts dran ist, dann möchte ich für so etwas entsprechend honoriert werden. Und die Zauberformel heißt in solchen Fällen zeitabhängige Vergütung.«
»Ja, und?«, fragte Stephan.
»Die wollte die Mandantin nicht zahlen. Das heißt, erst sagte sie, dass sie damit einverstanden sei. Und ich habe schon mal die ersten Tätigkeiten entwickelt. Es gab ein Bestellungsschreiben an die Staatsanwaltschaft. Was man so macht. Parallel habe ich der Mandantin die Honorarvereinbarung zugeschickt. Aber sie hat sie mir nicht unterschrieben zurückgesandt. Ich habe dann noch mal bei ihr telefonisch nachgefragt, aber sie hat definitiv erklärt, das Honorar nicht zahlen zu wollen. Also habe ich das Mandat wieder niedergelegt. Ist doch klar, oder?«
»Wie viel Honorar wollten Sie denn je Stunde nehmen?«, wollte Stephan wissen.
»150 Euro.«
»150?«, wiederholte Stephan. »Habe ich Sie richtig verstanden?«
»Ja, finden Sie das zu hoch? Das holt ja kaum die Kosten rein. War schon fast ein Freundschaftspreis. Deshalb gab es auch nichts mehr zu verhandeln. Aber das tat sie nicht einmal. Sie wollte einfach nicht zahlen. Also habe ich einen Schlussstrich gezogen.«
»Merkwürdig«, meinte Stephan.
»Warum?«
»Ich habe 250 Euro je Stunde mit ihr vereinbart. Sie hat mir dieses Honorar sogar angeboten.«
»Viel Spaß damit«, schnarrte der Kollege. »Hoffe, Sie kriegen ihr Geld …«
Er lachte und verabschiedete sich.
19
Der Anrufer hatte Ort und Zeit genau vorgegeben: 17 Uhr auf dem Gelände der Kokerei Hansa im Dortmunder Westen – auf der sogenannten Schwarzen Straße. Die seit 1992 stillgelegte Anlage war seit einigen Jahren Industriedenkmal und prägte mit dem Kohlenturm, dem Sortenturm und der zu ihr ansteigenden Kohlenbandbrücke die Silhouette des Dortmunder Westens. Anders als bei anderen Industriedenkmälern verzichtete man hier bewusst darauf, die Außenanlagen zu pflegen. Die Natur sollte sich das Gelände zurückerobern, und im Laufe der Jahre hatten Birkenwäldchen das alte Fabrikareal überzogen, aus deren hellem Grün die rostigen Anlagen
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