Drahtzieher - Knobels siebter Fall
links. Sie müssen Seile spannen, die miteinander verbinden, was nicht zueinander zu gehören scheint. Daraus wachsen neue Geschichten, und plötzlich sind die Geschichten wahr. Sie brauchen Mut, sich so der Wahrheit zu nähern.«
»Tja«, bemerkte Stephan.
»Also übernehmen Sie den Fall nicht?«, insistierte Wanninger. »Obwohl Sie Geld brauchen? Ich weiß doch, wie es um Ihren Laden steht.«
»Nein«, sagte Stephan fest.
»Es scheint für Sie auch ohne Bedeutung zu sein, dass ich die Burg Greifenstein gefunden habe«, stichelte Wanninger weiter.
»Sind wir denn dadurch wirklich ein Stück weiter?«, fragte Marie.
»Frankfurt!«, bellte Wanninger und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Der Zusammenhang springt doch ins Auge. Sie sind ignorant!«
»Marie!«, sagte Stephan und erhob sich.
»Sie sind einfach anders gepolt!«, schrie Wanninger. »Aber so kommen Sie nicht weiter. – Keine Sorge: Ich werde Frau van Eyck nichts sagen. Obwohl ich starke Zweifel habe, dass sie den richtigen Anwalt hat.«
Er stand erregt auf.
»Wir wären beruflich niemals Partner geworden, Herr Knobel. Dabei suggeriert Ihr Name verheißungsvolle Qualitäten.«
Stephan zuckte die Schultern.
»Es ist spät geworden, Herr Wanninger. Lassen Sie es gut sein.«
»Sie suchen also weiter den Bekannten?«, schloss Wanninger.
Marie nickte. »Und Sie den Unbekannten?«
»Passt mehr zur Geschichte«, wusste Wanninger. »Sie deuten die Zeichen falsch.«
Sie verließen sein Studio. Der Journalist sah ihnen nach, als sie die Treppen hinunterstiegen.
»Vielleicht ergänzt es sich ja irgendwie«, rief er ihnen nach, leutselig und für ihn ungewöhnlich versöhnlich. Aber er wusste, dass der Anwalt und seine Freundin auf dem Holzweg waren.
17
Wanninger betrank sich an diesem Abend. Er schwitzte den Wein aus, den er lustlos in sich hineinschüttete. Es war ein billiger Riesling aus dem Supermarkt gegenüber, gut gekühlt, süßlich und süffig. Das Glas beschlug, wenn der Wein aus der Flasche in das Glas floss. Wanninger saß wieder am Schreibtisch in seinem Büro. Er hatte die Fenster geöffnet, damit die schwüle Hitze aus dem Raum verschwand, die sich unter dem Dach staute. Von der Straße drangen Geräusche nach oben. Sie stammten von Autos, die sich in die wenigen Parklücken zwängten. Er hörte Türen schlagen, undeutliche Stimmen, die sich voneinander verabschiedeten. Es wurde stiller in dem Viertel. Nur noch wenige Fenster, hinter denen Licht schimmerte. Die Mondsichel war unwirklich grell. Einige Wolkenfetzen, die träge am Himmel trieben. Die milde Abendluft tat gut. Wanninger saß im Schein seiner Schreibtischlampe. Die aufs Papier gebrachten Notizen über das heutige Leben der Skandalfiguren von damals raschelten im lauen Luftzug. Wanninger hatte sein Büro im belebten Kreuzviertel eingerichtet. Er wollte unter und zwischen den Menschen, mit dem Leben dieses Viertels verwoben sein, durch die Straßen flanieren, in den kleinen Geschäften einkaufen, sich treiben lassen. Doch er ging nie aus. Es zog ihn immer sofort nach oben in das Büro oder in seine kleine Wohnung drei Straßen weiter, die er aus denselben Gründen hier und nicht woanders genommen hatte. Er mischte sich nicht unter die Menschen. Er mied sie, konnte sich nicht treiben lassen, war immer nur getrieben. Wenn er nichts zu tun hatte, ging er aus seinem Büro in die Wohnung und wieder zurück. Wanninger kam nie zur Ruhe. Er blieb allein.
Wanninger löschte das Licht, legte die Füße auf den Tisch und schaltete das Fernsehen ein. Die Zeit war klebrig. Er wartete sie ab. Es war lange her, dass er wegen seines Berufes und aus eigenem Interesse möglichst viele Nachrichtensendungen im Fernsehen verfolgte. In letzter Zeit sah er sie nur dann und wann, blieb lose auf dem Laufenden, recherchierte themenorientiert im Internet, wenn es nötig war. Er sah gedankenverloren die Spätnachrichten. Irgendwann fiel Wanninger an diesem Abend an seinem Schreibtisch in einen unruhigen Schlaf.
Weit nach Mitternacht, etwa gegen halb zwei, erhielt er einen Anruf. Er hörte sein Handy erst spät, wachte erschreckt auf und blieb zugleich in trunkener Schläfrigkeit. Er sah das grünlich leuchtende Display seines Handys. Wanninger horchte in das Gerät. Er hörte eine männliche Stimme, ruhig und kühl, klar und etwas abgehackt, die ihn für den morgigen späten Nachmittag einbestellte. Wanninger war durcheinander. Der Riesling hämmerte in seinem Kopf. Seine wirren Träume, aus denen
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