Drahtzieher - Knobels siebter Fall
konnte, wenn er es wollte. Jetzt fürchtete er sich, lag schweißgebadet auf dem Bett, das er noch nie mit jemandem in Liebe geteilt hatte, wusste die Reisetasche und den Laptop neben sich und grübelte. Er war leichtsinnig gewesen, als er sich von der Stimme durch die Kokerei dirigieren ließ, aber er wollte wissender werden, hatte seine warnenden Gedanken beiseitegedrängt, weil er dachte, dass man ihn anderenorts leichter würde töten können. Der Mann hatte mit der Frau am Eingang der Kokerei gesprochen, ihr erklärt, wie sie ihm – Wanninger – dieses technische Gerät andienen sollte. Er hatte ihr die Technik erklärt und eine Geschichte erfunden, die sie davon überzeugte, Statist in einer raffiniert erscheinenden Geburtstagsüberraschung zu sein. All dies war ihm schlagartig durch den Kopf gegangen, als er die Schwarze Straße entlanggegangen war, sich Meter für Meter an den alten Ofenbatterien entlanggetastet hatte. Der Unbekannte war mit Menschen in Kontakt getreten, die ihn wiedererkennen würden. Deshalb hatte Wanninger zunächst geglaubt, der Kokereibesucher sei sein Informant gewesen. Doch er hätte misstrauisch werden müssen. Die Stimme des Unbekannten hatte sich so angehört, wie Sadowski diejenige von Drauschner beschrieben hatte. Und der Informant hatte Wanninger noch nie angerufen. Trotzdem war auch Drauschner so etwas wie ein Informant. Wanninger wusste diesen Drauschner nicht richtig einzuschätzen.
Er schlief erst in den frühen Morgenstunden ein. Es war ein unruhiger Schlaf, aus dem er gegen sieben Uhr mit rasendem Herzen erwachte. Er aß zwei Scheiben Toast, die er mit Schnittkäse belegte, dessen Haltbarkeitsdatum schon um eine Woche überschritten war. Dazu zog er einen Kaffee aus seiner alten Kaffeemaschine.
Die Flucht vor dem unbekannten Gegner machte ihn hektisch und trieb ihn zugleich dazu, die Zeit totzuschlagen. Er wusste keine Ziele, die er ansteuern konnte oder wollte. Wanninger ahnte, dass er wieder eine Nachricht bekommen würde. Ylberi um Schutz zu bitten kam nicht in Frage. Der Staatsanwalt würde keinen Schutz bieten können. Ylberi verkannte die Dimensionen, wenn er verharmlosend von Wirtschaftskriminalität sprach. Alles deutete darauf hin, dass es um Akteure, vielleicht auch um eine Organisation ging, die taktisch klug im Verborgenen arbeitete. Alle Beweise für ihre Existenz erschienen wie Zufallsfunde, die irgendwo an die Oberfläche gelangten und Teile eines Mosaiks bildeten, das Wanninger Stück für Stück zusammenfügen würde, ohne dass ihn die Ermittlungsbehörden dabei störten. Es ging nicht nur um die Geschichte, die er schreiben wollte. Es ging auch um die Wanninger zuteil werdende Ehre, die Hintergründe in einem Komplott erforschen zu dürfen.
Der Journalist verließ gegen acht Uhr seine Wohnung, stieg in sein Auto und passierte die Plauener Straße. Er sah mehrere Personen in das Haus gehen. Es waren Polizeibeamte in Zivil, die von Ylberi beauftragt waren. Wanninger wurde klar, dass man seine Büroräume in der Nacht bewacht hatte, um sie vor dem nochmaligen Zugriff der Täter zu schützen. Jetzt, im Tageslicht, würden sie beginnen, sein Büro zu durchsuchen. Sie nannten es Spurensicherung, aber Wanninger wusste, dass sie seine Schubladen durchwühlen und all das zutage fördern würden, was er im Verborgenen recherchiert hatte. Sie drangen in seine Sphäre ein, ohne dass er dies gewollt hatte. Er hatte sich diesen Schnüfflern verweigern wollen, aber sie durchsuchten im öffentlichen Interesse, sie ermittelten von Amts wegen. Wanninger wagte nicht, auszusteigen und in seinen Briefkasten zu sehen. Der Briefträger kam gewöhnlich gegen neun Uhr. Wanninger fuhr langsam weiter und parkte sein Auto in einer Seitenstraße. Der Postbote begann seine Tour am östlichen Ende der Saarlandstraße. Wanninger positionierte sich dort und wartete. Er fing den Postboten im strömenden Regen ab und ließ sich seine Briefe aushändigen. Er blätterte durch die Post, ignorierte die Mahnungen, mit denen ihn irgendwelche Gläubiger immer häufiger belästigten, und starrte auf den Brief, dessen Zugang er intuitiv erwartet hatte: Ein anonymer Umschlag, abgestempelt in Frankfurt. Wanninger rannte in eine geschützte Hausecke, vergewisserte sich, dass ihn niemand beobachtete und riss den Umschlag auf:
›Sie haben gestern großes Glück gehabt, Wanninger. Obwohl Sie so leichtsinnig waren. Es hat sich herumgesprochen, dass der Anschlag fehlgeschlagen ist. Das Geschäft wird
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