Drahtzieher - Knobels siebter Fall
aber er mochte das Gerät nicht rausgeben.
»Wo genau ist auf dem Kokereigelände auf Sie geschossen worden?«, fragte Ylberi weiter. »Wir müssen Spuren sichern. Soweit ich weiß, ist es ein sehr großes Areal. Muten Sie mir bitte nicht zu, das gesamte Gelände nach dem Geschoss und sonstigen Spuren abzusuchen, die vom Täter stammen könnten.«
Doch Wanninger blieb hart.
»Ich rühre das Gerät nicht an«, versprach er. »Sie können es haben, wenn alles vorbei ist.«
Dann rannte er weg, erstaunlich flink für seine Korpulenz, stoppte kurz an der nächsten Straßeneinmündung und sah ängstlich zurück. Ylberi war stehen geblieben. Er sah dem dicken Mann nach, der sich einer Gefahr aussetzte, um sich die Geschichte zu sichern, deren Publikation ihn wieder in die Schlagzeilen zu bringen versprach. Wanninger rannte weiter und verschwand aus Ylberis Blick. Der Staatsanwalt hörte nur noch seine hastenden Schritte, die sich entfernten und von der Nacht geschluckt wurden.
Am nächsten Morgen stand Ylberi pünktlich um zehn Uhr an der Pforte des Kokereigeländes, gerade rechtzeitig, als die Mitarbeiterin der Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur das alte Kokereitor und damit die gesamte Anlage für die Besucher öffnete. Der Staatsanwalt wies sich aus und erklärte den Anlass seines Besuches. Er trug einen Koffer mit erkennungsdienstlichem Material. Es hatte zu regnen begonnen. Auf der Kokerei würde es ein ruhiger Tag werden, noch ruhiger als sonst.
»Hat dieser vermeintliche Herr Schmidt für den Eintritt bezahlt?«, fragte Ylberi.
Die Frau nickte unmerklich. Ihre Befürchtung, dass sich hinter dem gestrigen Ereignis mehr verbarg und sie mit ihrer bloßen Gefälligkeit für den vorgeblichen Herrn Schmidt sich selbst keinen Gefallen getan hatte, bewahrheitete sich. Sie war froh, den Job an der Pforte der Kokerei zu haben, der half, die finanziellen Lasten zu tragen, die sie mit ihrem Mann hatte.
»Hat er mit einem Schein oder mit Münzen bezahlt?«, fragte Ylberi.
Sie überlegte kurz.
»Er hatte es passend, glaube ich«, antwortete sie unsicher.
»Und die Einnahmen von gestern sind noch in der Kasse?«, vergewisserte er sich.
»Ja. Wir machen nur einmal in der Woche Kassensturz. Es kommt in den normalen Wochen außerhalb der Ferien meist nicht so viel zusammen.«
»Also sind die Münzen von Herrn Schmidt noch in der Kasse«, folgerte Ylberi. »Denn wie ich erfahren habe, kam er erst recht spät und nach ihm nur noch der Herr Wanninger als letzter offizieller Besucher dieses Tages. Wie hat der bezahlt?«
»Münzen«, antwortete sie irritiert.
»Erinnern Sie sich an die Stückelung?«, wollte Ylberi wissen.
»Ich glaube, Schmidt zahlte mit einem Zwei-Euro- und einem Ein-Euro-Stück.«
»Und Wanninger?«, fragte Ylberi.
»Auch passend, aber in Cent-Münzen. Ich meine, es waren sechs 50-Cent-Münzen. Die beiden waren die letzten Gäste an dem Tag. Ich habe die ganze Nacht darüber nachgedacht. Ich komme einfach nicht zur Ruhe.«
»Wenn die beiden Herren so bezahlt haben, wie Sie es sagen, erleichtert das uns die Sache sehr«, sagte Ylberi und lächelte zufrieden. »Dann geben Sie mir bitte den gesamten Münzbestand, der sich in der Kasse befindet«, bat er, »das heißt, geben Sie mir bitte die Kasse, damit ich die Münzen entnehmen kann. Wir wollen ja keine Fingerabdrücke verwischen!«
Er zog ein paar Gummihandschuhe aus seinem Koffer.
»Heute Abend ist wieder Kassensturz«, sagte sie. »Ich muss die Buchhaltung fortführen und den Kassenbestand und die Anzahl der verkauften Eintrittskarten eintragen.«
Ylberi verstand.
»Geht es um viel?«
»Weiß nicht.« Sie schloss die Tür zum Infopunkt auf, holte die Kassette aus einem kleinen Schrank und öffnete sie. »40 oder 50 Euro in Münzen werden es wohl sein«, schätzte sie.
Ylberi zückte sein Portemonnaie.
»Zählen Sie bitte das Geld, ohne es zu berühren!«, bat er. »Bewegen Sie die Münzen nur mit einem Kugelschreiber oder Ähnlichem. Wir tauschen es aus.«
Sie nickte dankbar.
»Wissen Sie, wo der Herr Wanninger gestern den vermeintlichen Herrn Schmidt auf dem Gelände getroffen hat? Hat er Ihnen gegenüber genaue Angaben gemacht?«
»Er wollte unbedingt zur Schwarzen Straße.«
Sie erklärte Ylberi, was es mit diesem Namen auf sich hatte. Dann verließ der Staatsanwalt den Infopunkt. Während er die Frau die Münzen zählen ließ, lief er um die Kompressorenhalle herum und über die Schwarze Straße bis hin zu dem
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