Drahtzieher - Knobels siebter Fall
sein Rütteln mit unwirschen schläfrigen Handbewegungen abwehrte. Stephan nannte seinen Namen und lauschte angestrengt nach dem des anderen, der ihn noch immer nicht preisgab. Stephan erklärte, als Rechtsanwalt in einer Unfallsache zu ermitteln, und erst, als er den Namen Lieke van Eyck erwähnte, offenbarte sich der Mann. Er stellte sich als Dr. Alexander Seuter vor und schwieg, als Stephan ihn danach fragte, in welcher Beziehung er zu Lieke gestanden habe. Stephan merkte, dass den anderen in diesem Moment etwas einholte, das er nicht an sich heranlassen wollte, und er nahm sich in dem heiklen Telefonat etwas zurück. Stephan schlug vor, sich so schnell wie möglich zu treffen, um im persönlichen Gespräch die Fragen zu stellen, die dringend einer Antwort harrten. Stephan fürchtete, dass der dubiose Dr. Seuter sich jetzt entziehen könnte, aber er war sich auch gewiss, letztlich dieses Menschen habhaft geworden zu sein. Der Tankwart hatte ihn zuverlässig eingefangen und würde zumindest das Autokennzeichen des silbernen Mercedes notieren, mit dem Seuter vorgefahren war. Der große Unbekannte war gefunden.
Eigenartigerweise forcierte Seuter nun selbst ein Treffen und drängte darauf, dass man sich exakt in einer Stunde an der Raststätte Rhynern Süd an der A 2, Fahrtrichtung Hannover, treffen solle. Er werde mit seinem Wagen auf dem Parkplatz neben dem Raststättengebäude warten.
»Wie ich höre, sind Sie im Besitz eines Fotos, auf dem ich abgebildet bin. Es erübrigt sich also, dass ich mich beschreibe«, sagte Seuter nüchtern. »Sie werden mein Auto und mich finden. Ich erwarte Sie pünktlich. Verzeihen Sie meine Eile. Ich werde einen Geschäftstermin in Bielefeld etwas nach hinten verschieben. Aber mehr ist nicht drin. Ich möchte die Sache schnell klären.«
Er gab das Handy an den Tankwart zurück, der noch diensteifrig nachfragte, ob Stephan alles verstanden habe.
Stephan bejahte, verdutzt darüber, dass der geheimnisvolle Mann augenscheinlich die Flucht nach vorn antrat und sich mit der von ihm so beschriebenen Klärung der Sache auch einer solchen zu entledigen suchte. Dass der vorgegebene Treffpunkt an einer Autobahn lag, mochte im Hinblick auf das Foto von den drei Männern ein symbolträchtiger Zufall sein – oder vielleicht auch nicht.
Stephan zog sich in Windeseile an, und Marie, die mittlerweile wach geworden war und verstanden hatte, worum es ging, schickte sich an, etwas zu tun, was sie bislang noch nie getan hatte: Sie beschloss, die in ihrer Schule für acht Uhr anberaumte Konferenz wegen eines vorgeblichen Arzttermins zu schwänzen, was ihr zu Stephans Überraschung leichtfiel.
Sie kamen mit Verspätung auf dem Rastplatz an und fanden Seuter auf Anhieb, der vorwurfsvoll auf die Uhr sah, als Stephan auf seinen silbernen Mercedes zuging und an die Windschutzscheibe klopfte. Dr. Seuter stieg aus seinem Auto, und aufrecht stehend war er in der Tat völlig unzweifelhaft die Person, die links auf dem Bild zu sehen war, das an der A 45 in Höhe der Burg Greifenstein aufgenommen worden war. Seuter begrüßte Stephan förmlich und geschäftsmäßig, wiederholte diese Prozedur bei Marie, die er als Person und in ihrer Funktion noch weniger als Stephan einzuordnen verstand. Er schlug vor, sich an einen der Tische zu setzen, die am Rand der Parkbuchten in einem Grünstreifen aufgestellt waren und bei gutem Wetter denjenigen eine entspannte Rast versprachen, die sich von den auf der Autobahn dahinjagenden Autos nicht stören ließen und zu einer Ruhe fanden, die äußerlich der Atmosphäre eines gemütlichen Picknicks entsprach.
Dr. Seuter war korrekt und gut gekleidet und schien auf den ersten Blick ein Geschäftsmann zu sein, der Form und Norm verinnerlicht hatte und von anderen einzufordern verstand.
Stephan begriff intuitiv, dass Seuter zu denen gehörte, die zu lenken verstanden und dominierten, wenn man es versäumte, die Zügel selbst in die Hand zu nehmen. Er setzte sich neben Marie an einen der Picknicktische, Seuter saß ihnen gegenüber. Es war früh am Morgen, Viertel vor sieben. Die Sonne stieg glutrot über den Höhen des in der Ferne liegenden Weserberglandes auf. Es würde ein schöner Tag werden. Neben den Picknicktischen hielt ein polnischer Reisebus und entließ seine Fahrgäste zu einer kurzen Pause.
Stephan erklärte mit knappen Worten sein Mandat, offenbarte seine Auftraggeberin und schilderte gerafft die Fakten und Schlussfolgerungen, die zur Person des Alexander Seuter
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