Drahtzieher - Knobels siebter Fall
führten. Dr. Seuter hörte konzentriert zu und sah Stephan aufmerksam an, während er redete. Sein Blick wich nicht aus. Er saß unbeweglich auf seiner Bank und hielt die Hände vor sich wie zum Gebet gefaltet. Marie bemerkte, dass er manikürte Hände hatte, in jeder Beziehung äußerlich gepflegt und in seinem Verhalten beherrscht war. Sein Gesicht hatte eine glatte, reine Haut, der Oberlippenbart war akkurat gestutzt. Er spitzte die Lippen, als Stephan geendet hatte, ordnete gedanklich das Gesagte und kalkulierte wortlos die Folgen dessen, womit er konfrontiert wurde.
»Die Sache mit Lieke war ein Fehler«, begann er und bediente sich der ihm vertrauten Kategorie, die stets auf eine Sache hinauszulaufen schien. Doch er merkte feinsinnig, dass er sich zu weit vorlehnte, eine Arroganz offenbarte, die ihm schaden könnte, und wechselte unvermittelt auf eine andere Ebene.
»Lieke und ich lernten uns über eine Anzeige kennen«, setzte er neu an, »und ich gestehe gleich, dass es mein Fehler war, überhaupt auf eine Anzeige zu antworten. Lieke hatte in einer Zeitung inseriert. Es war eine jener Anzeigen, deren Hintergrund sich schnell erschließt. Es schrieb eine Frau, die von ihrem Beruf beherrscht war und privat kaum noch Freiräume hatte, gleich, ob sie sie persönlich nicht zu finden vermochte oder sie nicht finden konnte, weil sie der Job erdrückte. Aus der Anzeige sprach ein unerfülltes Verlangen, aber auch eine Disziplin, der beruflichen Einbindung stets den Vorrang einzuräumen.«
Seuter analysierte emotionslos und klar. Marie sah den Mann verwundert an, der Liekes Freund gewesen sein sollte.
»Sie wurden also ein Paar«, folgerte sie fragend.
»Wir kamen zusammen«, sagte Seuter, und Marie war sich sicher, dass er seine Worte mit Bedacht gewählt hatte.
»Wann war das?«, fragte Stephan.
»Im Mai des letzten Jahres«, antwortete Seuter, »Wir trafen uns erstmals auf dem Alten Markt hier in der Stadt. Von da an sahen wir uns wöchentlich. Lieke kam nach ihrer Arbeit bei ThyssenKrupp einmal in der Woche hier nach Dortmund und wir unternahmen etwas. Mal gingen wir nur spazieren, mal gingen wir essen. Es war zunächst nur eine Bekanntschaft. Wir verabredeten uns nie über das Handy, sondern nur über Diensttelefon. Ich bin Prokurist eines Stahlbauunternehmens hier in Dortmund. Es fiel also gar nicht auf, wenn wir miteinander telefonierten. Unser Unternehmen steht in ständiger Geschäftsbeziehung zu ThyssenKrupp.«
»Warum diese Heimlichkeit?«, fragte Marie.
»Ich bin verheiratet und habe drei Kinder«, erklärte Dr. Seuter knapp. »Ich muss die Ehe der Kinder wegen halten.«
»Oder wegen des Geldes«, warf Stephan ein. »Die Scheidung kann Sie viel kosten.«
Dr. Seuter kommentierte das nicht.
»Lieke wusste von Anfang an davon, ich habe ihr nichts verschwiegen«, sagte er. »Ich hatte anfangs nicht den Eindruck, dass sie von mir verlangte, mein normales Leben aufzugeben. Auch sie war keine Frau, die ganz in eine Beziehung eintauchen wollte. Das Private stand stets hinter dem Beruf.«
»So wie bei Ihnen«, vermutete Stephan.
»Ja«, stimmte er zu, »so wie bei mir. Und wenn man in dieser prinzipiellen Frage einer Meinung ist, dann funktioniert so etwas. Niemand ist verletzt, und jeder nimmt einen festen Platz ein.«
»Irgendwann haben Sie Lieke in Dorsten auf dem Hof besucht. Wann war das?«, fragte Marie.
»Etwa Mitte August letzten Jahres, genau weiß ich das nicht mehr. Es war ein Freitag. Lieke hatte an diesem Tag gegen 16 Uhr Schluss, und wir hatten etwa eine Stunde zuvor miteinander telefoniert. Ich schlug ihr vor, dass wir uns am Baldeneysee im Essener Süden treffen, weil ich wegen eines kurzen geschäftlichen Notartermins um 16.30 Uhr ohnehin nach Essen musste. Aber sie bestand darauf, dass ich sie einmal zu Hause besuchen sollte. Ich wusste, dass sie mit ihrer Schwester und ihrem Schwager auf einem Bauernhof wohnte, aber ich dachte, dass beide Parteien eigene Eingänge hatten.«
»Was ja auch stimmt«, sagte Marie.
»Ja, es stimmt. Aber als ich mich auf ihren Vorschlag eingelassen hatte und nach dem Notartermin hinter ihr mit meinem Wagen auf den Hof fuhr, erwarteten mich dort bereits Anne und Hermann van Eyck. Sie hatten im Garten hinter dem Haus Kaffee und Kuchen serviert, und aus dem, wie sie mit mir redeten, wurde mir klar, dass Lieke mich zuvor ganz anders dargestellt haben musste, nämlich als festen Freund und Lebenspartner. Da merkte ich, dass Lieke offensichtlich ganz
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