Drahtzieher - Knobels siebter Fall
drückte ihm irgendetwas in die rechte Hand.
»Greif richtig zu, du Sack!«, herrschte ihn Drauschner an, während er den Anruf wegdrückte, und Wanninger gehorchte. Er fühlte, dass Drauschner ihm in die Hosentaschen fasste.
»Was weißt du wirklich, Wanninger?«, herrschte ihn Drauschner an. »Warum tauchst du immer wieder auf?«
Drauschner fingerte Wanningers Autoschlüssel hervor und trat sie zur Seite. Mehr fand er nicht. Die kleine Kamera ruhte verborgen in Wanningers Anzuginnentasche. Wanninger bemühte sich, gleichmäßig zu atmen.
»Du machst alles kaputt«, keuchte Drauschner. »Was treibt dich an, du Presseschwein? Was geht dich diese Sache an? Du wirst nicht die deutsche Industrie boykottieren, du elender Verräter! Du bist eine kleine unbedeutende Kreatur – ein kleines nutzloses Rad wie Lieke van Eyck.«
Drauschner packte ihn hart am linken Oberarm und riss ihn herum. Er entwickelte ungeheure Kräfte und trat Wanninger so brutal in die Seite, dass dieser aufschrie.
»Wir drehen den Spieß um, Wanninger!«, schrie Drauschner. »Guck’, was du in den Händen hältst!«
Wanninger sah verstört in seine rechte Hand, die den Handknauf eines Stichels umgriff, ein spitzes Werkzeug, mit dem man Löcher ins Holz stach.
»Du hast hier viele Autos kaputtgemacht, Wanninger«, sagte Drauschner überlegen und lachte schrill auf. »Sieh dich um! Überall Kratzer im Lack, teilweise sogar Löcher im Blech. Das warst du, Wanninger. Und gleich kommen die anderen, Fyhre und die Chinesen und noch viel mehr. Man hat dich erwischt. Keine Ahnung, warum du so gehandelt hast. Du brauchst doch Aufmerksamkeit, Wanninger. Du machst dir deine eigenen Geschichten. Bist wie ein Feuerwehrmann, der selbst Feuer legt. Wer wird dir denn deine blöde Geschichte glauben, der du auf der Spur sein willst? Hier unten hast du nachweisbar gewütet, Wanninger. Sieh dir die Schäden an den Autos an! Du bist am Ende, kleiner Journalist Wanninger!«
Drauschner trat ihm noch mal kräftig in die Seite. Dann rannte er davon. Wanninger beobachtete aus den Augenwinkeln, dass Drauschner sich den Koffer schnappte, bevor er durch eine Fluchttür am anderen Ende des Parkdecks verschwand. Er richtete sich benommen auf, hob zitternd seine Schlüssel auf und schlug wie mechanisch den Dreck aus seinem Anzug. Er stolperte erst in die eine und dann in die andere Richtung. Er suchte nach Überwachungskameras, doch er fand keine. Wanninger taumelte nach vorn. Sein Kopf schmerzte. Er umgriff den Stichel in seiner rechten Hand noch fester. Wanninger durfte sie nicht fallen lassen. Dann begann er zu laufen, so gut er es vermochte, drückte die Klinke an der Fluchttür herunter und stemmte sich mit seinem Körpergewicht dagegen. Die Tür gab nach. Er fiel beinahe hin, steckte den Stichel zitternd in seine Hosentasche und zog sich am Geländer des Treppenhauses hoch. Sie würden gleich kommen und ihn suchen. Er musste raus, ihnen entkommen. Wanninger schaffte es irgendwie nach oben. Er öffnete eine Tür nach draußen und rang nach Luft. Die Welt drehte sich. Er blinzelte in den Abendhimmel. Der Schweiß lief ihm in die Augen und brannte. Er rieb sich fahrig durchs Gesicht. Das Tageslicht schwand. Hinter ihm lag das Konzerthaus.
Wanninger ging unauffällig. Er durfte nicht rennen, durfte keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Er ging nicht den direkten Weg zu seinem Auto, sondern nahm einen Umweg, blickte sich zwischendurch um und beäugte argwöhnisch die Gestalten, die sich im Brückstraßenviertel herumtrieben. Jeder konnte Drauschner sein.
Als Wanninger den Hinterhof des Geschäftshauses erreichte, in dem er sein Auto geparkt hatte, löste er einen Bewegungsmelder aus. Ein an der Hausfassade angebrachter Scheinwerfer tauchte den Hof in gleißendes Licht. Wanninger fuhr herum. Er stand in seinem dunklen Anzug mitten auf der weißen Hoffläche. Er erschrak vor dem Schatten, den sein Körper an die gegenüberliegende Wand warf. Wanninger schlich wie eine Katze zu seinem Auto, obwohl er wie ein Solist einsam auf der Bühne war. Er öffnete zitternd sein Auto, griff wie automatisch unter den Beifahrersitz. Der Laptop war noch da. Wanninger ließ sich in sein Auto fallen, startete den Wagen und fuhr langsam vom Hof. Er umrundete das Zentrum auf dem Wallring, gewann plötzlich an Sicherheit und fuhr schneller. Hin und wieder sah er in den Rückspiegel, doch es folgte ihm keiner. Er machte das Radio an. Es kam eine Zusammenfassung der Nachrichten des Tages. Der
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