Drake (German Edition)

verschwinden. Keine der Nachforschungen nach stabilen Sternsystemen in Richtung des Zentrums der Galaxis hatte positive Ergebnisse geliefert. Dort war nur Chaos und Verderben – auf lange Zeit hin betrachtet.
    »Hören Sie mir überhaupt zu?«, fragte Verotroicx. »Ihr kleiner Ausflug an den Rand der Galaxis muss Sternberg ein Vermögen gekostet haben. Wie haben Sie denn das aus ihm rausgeholt?«
    Jetzt war es an der Reihe von Werfel zu grinsen. Es würde ihm sowieso keiner glauben, dass es die reine Geltungssucht von Sternberg gewesen war, dreißig Milliarden für dieses Projekt auszugeben.
    »Fragen Sie ihn doch!«, sagte er. »Die Antwort würde mich sehr interessieren.«
    Verotroicx sah ihn eine Weile nachdenklich an. »Ein Deal. Sie gaben ihm die Daten der Sternberg-Linie und versprachen ihm bei Erfolg den alleinigen Ruhm, und dafür haben Sie Ihr Schiffchen erhalten.«
    »Nicht schlecht. So ähnlich könnte es abgelaufen sein.«
    »Unglaublich.« Verotroicx wendete sich von ihm ab und blickte in die Sterne auf den großen Frames. »Superbia, die Eitelkeit oder der Hochmut. War mir schon immer die liebste der sieben Todsünden. Die hat in der Geschichte der Menschheit schon viel ins Rollen gebracht. Vielleicht auch in diesem Fall. Darf ich Sie noch einmal fragen: Was erhoffen Sie sich von der Zeitanomalie? Was gibt es dort zu entdecken? Und – ist das nicht etwas riskant?«
    »Mensch, ich verstehe nicht, warum das keiner begreift!«, brauste Werfel ungehalten auf. »Zeit ist der Ursprung des Universums. Leben stammt aus der Zeit. Materie ist Zeit. Die Zeitanomalie könnte die Entstehung des Universums erklären. Vielleicht ist sie der letzte Rest eines ursprünglichen Universums.« Als er merkte, dass die Umstehenden wegen seiner lauten Worte auf ihn aufmerksam wurden, dämpfte er seine Lautstärke. »Wir sollten uns mit der Ursache der Entstehung der Planeten beschäftigen, nicht mit dem Ergebnis. Wir werden keine zweite Erde finden, und wenn doch, dann wird sie uns feindlich gesinnt sein.«
    »Das werden wir ja in wenigen Minuten sehen. Aber einmal abgesehen davon, Sie reden immer nur von Zeit und Materie. Der Glaube an etwas Höheres scheint Ihnen fremd zu sein, oder? Welchen Stellenwert hat bei Ihnen die Seele? Oder das Bewusstsein?«
    Werfel winkte ab. »Alles der gleiche Stoff. Sie begehen denselben Fehler wie alle anderen auch. Sie setzen die Zeit gleich mit der Einheit einer Sekunde oder einer Minute. Die Zeit aber ist keine Dimension. Selbst alle Synonyme für das Wort Zeit im Sprachgebrauch sind falsch. Dauer, Spanne, Weile, Ära – alles Blödsinn. Es gibt nur den Begriff Zeit. Es existiert noch nicht einmal das Gegenteil zu dem Wort. Zeit ist wie Gott. Zeit ist Ursprung.« Er atmete tief durch. »Und damit habe ich auch Ihre Frage nach der Seele beantwortet.«
    Verotroicx antwortete nichts darauf, aber Werfel konnte ihm deutlich ansehen, was er von seinen Ausführungen hielt. Und wenn schon, dachte er, es wäre vergebliche Mühe, einem minderbemittelten Dienstgrad die Bedeutung der Zeit zu erklären. Es war schon ärgerlich, dass er sich überhaupt auf ein Gespräch über das Thema eingelassen hatte.
    Gleichgültig wandte er sich ab und ging in Gedanken den weiteren Ablauf nach dem bevorstehenden Durchgang durch. Das ELT brauchte vorerst nicht in Position gebracht werden. Die Unit Eleven würde nahe genug bei Blue Boy herauskommen, dass die konventionellen Scanner wenige Sekunden später ein gestochen scharfes Bild von dem Planeten lieferten.
    Ein großer Moment.
    Er war etwas aufgeregt. Die Stimmung in der Lobby trug ihren Teil dazu bei.
    Im Grunde genommen erlebte er jetzt die Krönung seiner Karriere, wenn auch nicht in dem Maße, wie er es sich gehofft hatte. Er hatte die Sternberg-Linie entdeckt. Die Arbeit daran hatte einen großen Teil seines Lebens eingenommen und die Entdeckung eines Planeten wie Blue Boy wäre ein unerwartetes Ziel gewesen. Seit der Planung des Projektes und dem darauf folgenden Bau der Unit Eleven war ihm aber deutlich geworden, wer von einem Erfolg profitieren würde. Die Besatzungsliste strotzte nur so von direkten Abkömmlingen der Reichen und Mächtigen – wenn man einmal von einigen unabkömmlichen Spezialisten absah. Der Großteil der Menschen an Bord war auf der Flucht vor den bevorstehenden Krisen auf der Erde. Die Feiglinge machten sich aus dem Staub. Erkauft mit jeder Menge Geld und Beziehungen. Plötzlich war es nicht mehr seine Expedition gewesen, sondern