Drake Schwestern 01-02 - Daemmerung des Herzens-06.07.12-OK
Hannah.
»Ich dachte, du hättest gesagt, sie sei im Kongo«,
fiel Kate ihr ins Wort.
Hannah lachte. »Sie war im Kongo, aber von dort aus
ist sie nach Südamerika beordert worden. Sie hat direkt nach dem Erdbeben
angerufen. Bei einem kleinen Stamm im Regenwald ist eine rätselhafte Krankheit
ausgebrochen und man hat Libby gebeten, augenblicklich hinzufliegen und zu
helfen. Und natürlich hat sie genau das getan. Sie hat gesagt, es würde schwierig
werden, aber sie käme, ganz gleich, was passiert, über Weihnachten nach Hause.
Ich glaube, sie braucht unsere Nähe. Sie klang müde. Wirklich sehr müde. Ich
habe ihr gesagt, wir würden uns zusammentun und sehen, ob wir ihr
Energiereserven senden können, aber sie hat das Angebot abgelehnt. Sie hat zu
mir gesagt, wir sollten unsere Kräfte schonen und äußerst vorsichtig sein«,
berichtete Hannah.
Abbey und Kate blieben abrupt stehen. »Bist du ganz
sicher, dass Libby uns nicht braucht, Hannah?«, fragte Kate. »Du weißt ja,
welchen Gefahren sie sich aussetzt. Sie hilft Menschen unter den denkbar
ungünstigsten Umständen und das raubt ihr jede Energie. Wenn sie dann
zusätzlich auch noch diese Entfernungen zurücklegt und wenig schläft, ist das
auch nicht gerade erholsam.«
»Sie hat nein gesagt«, wiederholte Hannah. »Ich
habe die Ermattung aus ihrer Stimme herausgehört. Sie hat es offensichtlich
bitter nötig, nach Hause zu kommen, Energien aufzutanken und sich auszuruhen,
aber ich hatte nicht das Gefühl, dass ihr Zustand kritisch ist.« Sie kniete
sich vor dem Mosaik, in das ihre Großmutter gemeinsam mit ihren Schwestern so
viel harte Arbeit investiert hatte, auf den Boden.
Erleichterung durchflutete Kate. Libby verausgabte
sich immer wieder bis an ihre Grenzen, was dramatische gesundheitliche Folgen
für sie hatte. Libby war zu klein, zu schlank und zu zart, um sich derart für
andere zu schinden. Sie arbeitete für die staatliche Behörde »Center for
Disease Control« und reiste rund um die Welt. »Wir werden sie im Auge behalten
müssen«, sagte Kate leise und versonnen.
Die Fähigkeit, ungeachtet der räumlichen Entfernung
miteinander in Kontakt treten zu können, zählte zu den Gaben der Schwestern,
für die sie besonders dankbar waren. Sie konnten einander »sehen« und Energien
von einer zur anderen senden, wenn es notwendig war. Kate kniete sich neben
Hannah in die Eingangshalle.
Kate verspürte immer eine gewisse Ehrfurcht, wenn
sie das Kunstwerk auf dem Boden betrachtete. Das Mosaik erschien ihr stets
energiegeladen. Jeder, der es ansah, kam sich vor, als fiele er in eine andere
Welt. Das tiefe Blau des Meeres war in Wirklichkeit der Ozean des Himmels.
Sterne explodierten und erwachten flackernd zum Leben. Der Mond war eine
schimmernde silberne Kugel. Kate beugte sich noch weiter vor, um die Grün-,
Braun- und Grautöne, die Mutter Erde bildeten, aus der Nähe zu studieren.
Nur Joleys Stimme strömte in den Raum, und als die
letzten Töne verklangen, blieb vollständige Stille zurück. Die drei Schwestern
fassten einander an den Händen. Funken sprangen in der elektrisch aufgeladenen
Luft von einer zur anderen über. In dem schwach erleuchteten Raum nahm sich die
Energie wie ein gezackter Blitz aus, der zwischen den drei Frauen umhertanzte.
Kraft erfüllte den Raum, genug Energie, um die Vorhänge an den Fenstern zu
bewegen und sie flattern und wehen zu lassen.
Kate hielt ihren Blick starr auf die dunkleren
Erdtöne gerichtet. Etwas rührte sich in den tieferen Felsen dicht am Rande des
Mosaiks. Es bewegte sich langsam voran, ein geschwärzter Schatten, der von
einem dunklen Bereich zum nächsten glitt und listig und tückisch wirkte. Er
verlagerte sich an den Rändern immer weiter zur Oberfläche hin, als versuchte
er, sie zu durchbrechen. Kate atmete langsam aus und füllte ihre Lungen dann
vollständig mit Luft, bevor sie sich von ihrem Körper löste. Das war ihre Art,
sich in die Schattenwelt zu begeben, die für die meisten menschlichen Augen
unsichtbar war.
Sie nahm die Böswilligkeit unmittelbar wahr, eine
krankhafte Heimtücke, verschlagen und wild entschlossen; ein Wesen, dem
ungeheure Wut den letzten Schliff verliehen hatte und dessen Antrieb Rachsucht
war. Der Tumult war überwältigend, denn es siedete und brodelte vor Glut und
Zorn. Das Wesen kroch noch näher an sie heran und das Bewusstsein ihrer Gegenwart
erfüllte es mit einer Art gehässiger Schadenfreude. Sie hielt vollkommen still
und versuchte, die dunkle Macht in
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