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Dramen

Titel: Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Wedekind
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Herr, die Verhältnisse in diesem Hause richtig zu beurteilen.
    Lindekuh
    Ich kann Ihnen bei allem, was ich bin und habe, schwören, daß mich die Verhältnisse in diesem Hause nicht im geringsten interessieren! Ich habe Wichtigeres zu tun. Aber seit acht Tagen sehe ich ein gemartertes Menschenkind in der grauenhaftesten Verzweiflung mit dem Selbstmord ringen. Heute vor acht Tagen kam Else Meißner zum erstenmal zu mir. Ich lag noch zu Bett. Sie eröffnete mir unter Weinkrämpfen, daß sie jeden Moment fürchte, wahnsinnig zu werden, weil sie das Verhältnis zwischen Ihnen und ihrem Mann unmöglich länger ertragen könne. Sie beschwor mich, Sie, mein Fräulein, durch irgend eine Gewaltmaßregel, sie sei wie sie sei, zur Abreise zu zwingen. Sie erzählte mir, sie sei auf dem Polizeipräsidium gewesen und habe den Polizeipräsidenten gefragt, ob man Sie, da das Glück einer Familie auf dem Spiel stände, als Ausländerin denn nicht einfach ausweisen könne. Der Polizeipräsident habe ihr aber geantwortet, solange Sie als Musikschülerin von Ihrem eigenen Gelde lebten und noch nicht unter Polizeiaufsicht ständen, sei das leider nicht möglich. Ich erwiderte ihr natürlich. »Warum zum Henker hast du die Dame denn nicht ruhig im Gefängnis sitzen lassen?! Dort war sie doch einfach tadellos aufgehoben!« Ich habe sie übrigens auch ausdrücklich gefragt, ob Josef vielleicht Geld von Ihnen geborgt hat. Wenn das der Fall sei, sagte ich ihr, dann könne sie schlechterdings nichts besseres tun als die Zähne zusammenbeißen und mäuschenstill abwarten, bis ihr Mann seine Schulden an Sie zurückbezahlt habe. Soviel Rücksicht sei eine Frau, deren Haushalt aus dem Darlehen voraussichtlich Gewinn gezogen, ihrem Mann unter allen Umständen schuldig! – »Nein, davon kann gar keine Rede sein! Mein Mann ist der Person nicht einen Pfennig schuldig!« – Vorgestern abend kam sie in einem so fassungslosen, vergeisterten Zustand zu mir, daß ich im Begriff stand, die Sanitätskolonne zu alarmieren, um sie ins Krankenhaus bringen zu lassen. Ich wollte mir ganz einfach die Verantwortung für einen Selbstmord vom Halse schaffen! Sie, mein Fräulein, hatten an dem Tage mit Josef Meißner im Orientalischen Restaurant diniert! Else Meißner wälzte sich wie eine Wahnsinnige vor mir auf dem Teppich und schrie mir ein Mal über das andere zu. »Mach meinem Elend ein Ende, koste es, was es kosten mag! Ich bitte dich nur, meinem Elend ein Ende zu machen.« Ich sagte ihr: »Wenn du im voraus wußtest, daß die zwei im Orientalischen Restaurant dinieren werden, warum gingst du denn nicht mit einer Reitpeitsche hin und schlugst sie der schamlosen Person von rechts und links um die Ohren…!«
Dritte Szene
    Josef Reißner. Die Vorigen
    Josef
eintretend
    Was ist denn hier los?
    Lindekuh
    Du schriebst mir, daß du mich um sechs Uhr sprechen möchtest. – Ich bin hier.
    Josef
    Ich danke dir. – Ich bitte um Entschuldigung, daß ich mich verspätet habe. –
(Zu Klara)
Wollen Sie uns bitte einen Augenblick allein lassen.
(Er geleitet Klara hinaus und setzt sich an seinen Schreibtisch, auf den er die Lampe gestellt hat. Indem er Lindekuh einen Sessel zurechtrückt)
Darf ich dich bitten, Platz zu nehmen.
    Lindekuh setzt sich zu ihm.
    Josef
in einer Schreibtischschublade nach einem Brief suchend
    Auf mich hageln die Unannehmlichkeiten augenblicklich so erbarmungslos nieder, daß ich gar nicht weiß, wo mir der Kopf steht.
(Er hat den Brief gefunden und fliegt ihn durch)
Du schreibst mir da, du werdest morgen – das wäre also heute – den Zeitungen beiliegende Notiz einsenden… Ich muß die Notiz noch einmal durchlesen. Ich habe sie nicht mehr recht im Kopf.
    Er liest, indem er jeden einzelnen Satz deutlich hervorhebt.
    Skandalöser Undank. – Ein empörendes Beispiel von skandalösem Undank bietet der Verlauf einer Strafsache, die vor etwa einem halben Jahr das hiesige Landgericht beschäftigte. Es handelt sich um eine ausländische Musikschülerin, die wegen Vergehens gegen den Paragraphen 812 zu acht Monat Gefängnis verurteilt worden war. Der Gattin ihres Lehrers gelang es dann, durch ein Immediatgesuch an den Landesherrn ihre Begnadigung zu erwirken. Und nun nistete sich die Begnadigte im Hause ihres Lehrers, mit dem sie schon vor ihrer Verurteilung ein Verhältnis unterhielt, mit solcher Hartnäckigkeit ein, daß der unglücklichen Frau, der sie ihre Freiheit verdankt, nichts übrig bleibt, als sich von ihrem Gatten scheiden zu lassen

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