Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Dramen

Titel: Dramen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Wedekind
Vom Netzwerk:
mir nicht aus dem Kopf. Ich kann bei diesem Gymnasiasten wirklich noch Privatunterricht in der Weltverachtung nehmen.
    Rodrigo
    Sie soll sich das Fell getrost mit Tausendmarkscheinen tapezieren lassen! Den Direktoren zapfe ich die Gagen mit der Zentrifugalpumpe ab. Ich kenne die Bande. Brauchen sie einen nicht, dann darf man ihnen die Stiefel putzen, und wenn sie eine Künstlerin nötig haben, dann schneiden sie sie mit den verbindlichsten Komplimenten eigenhändig vom lichten Galgen herunter.
    Alwa
    In meinen Verhältnissen habe ich außer dem Tod nichts mehr in dieser Welt zu fürchten – im Reich der Empfindungen bin ich der ärmste Bettler! Aber ich bringe den moralischen Mut nicht mehr auf, meine befestigte Position gegen die Aufregungen des wilden Abenteurerlebens einzutauschen.
    Rodrigo
    Sie hatte Papa Schigolch und mich zusammen auf den Strich geschickt, damit wir ihr ein kräftiges Mittel gegen Schlaflosigkeit aufstöbern. Jeder bekam ein Zwanzigmarkstück für Reiseunkosten. Da sehen wir den Jungen im Café »Nachtlicht« sitzen. Er saß wie ein Verbrecher auf der Anklagebank. Schigolch beroch ihn von allen Seiten und sagte: »Der ist noch Jungfrau.«
    Oben auf der Galerie werden schleppende Schritte hörbar.
    Rodrigo
    Da ist sie! – Die zukünftige pompöseste Luftgymnastikerin der Jetztzeit!
    Über der Treppe teilt sich der Vorhang, und Lulu, im schwarzen Kleid, auf Schigolchs Arm gestützt, schleppt sich langsam die Treppe herunter.
    Schigolch
    Hü, alter Schimmel! Wir müssen heute noch nach Paris.
    Rodrigo
Lulu mit blöden Augen anglotzend
    Himmel, Tod und Wolkenbruch!
    Lulu
    Langsam! Du klemmst mir den Arm ein!
    Rodrigo
    Woher nimmst du die Schamlosigkeit, mit einem solchen Wolfsgesicht aus dem Gefängnis auszubrechen?!
    Schigolch
    Halt die Schnauze!
    Rodrigo
    Ich laufe nach der Polizei! Ich mache Anzeige! Diese Vogelscheuche will sich in Paris in Trikots sehen lassen. Da kosten schon die Wattons zwei Monatsgagen. – Du bist die perfideste Hochstaplerin, die je im Hotel »Ochsenbutter« Logis bezogen hat!
    Alwa
    Ich bitte Sie, die Frau nicht zu beschimpfen!
    Rodrigo
    Beschimpfen nennen Sie das?! – Ich habe mir dieser abgenagten Knochen wegen meinen Wanst angefressen! Ich bin erwerbsunfähig! Ich will ein Hanswurst sein, wenn ich noch einen Besenstiel hochstemmen kann! Aber mich soll hier auf dem Platze der Blitz erschlagen, wenn ich mir nicht eine Lebensrente von zehntausend Mark jährlich aus Ihren Gemeinheiten herausknoble! Das kann ich Ihnen sagen! Glückliche Reise! Ich laufe nach der Polizei!
(Ab.)
    Schigolch
    Lauf, lauf!
    Lulu
    Der wird sich hüten!
    Schigolch
    Den sind wir los. – Und jetzt schwarzen Kaffee für die Dame!
    Alwa
am Tisch links vorn
    Hier ist Kaffee; man braucht nur einzuschenken.
    Schigolch
    Ich muß noch die Schlafwagenbillette besorgen.
    Lulu
    O Freiheit! Herrgott im Himmel!!
    Schigolch
    In einer halben Stunde hol' ich dich. Abschied feiern wir im Bahnhofsrestaurant. Ich bestelle ein Souper, das bis Paris vorhält. – Guten Morgen, Herr Doktor!
    Alwa
    Guten Abend!
    Schigolch
    Angenehme Ruhe! – Danke, ich kenne hier jede Türklinke. Auf Wiedersehen! Viel Vergnügen! –
(Durch die Mitteltür ab.)
    Lulu
    Ich habe seit anderthalb Jahren kein Zimmer gesehen – Gardinen, Sessel, Bilder…
    Alwa
    Willst du nicht trinken?
    Lulu
    Ich habe seit fünf Tagen schwarzen Kaffee genug geschluckt. Hast du keinen Schnaps?
    Alwa
    Ich habe Elixir de Spa.
    Lulu
    Das erinnert an alte Zeiten.
(Sieht sich, während Alwa zwei Gläschen füllt, im Saal um)
Wo ist denn mein Bild?
    Alwa
    Das habe ich in meinem Zimmer, damit man es hier nicht sieht.
    Lulu
    Hol doch das Bild her.
    Alwa
    Hast du deine Eitelkeit auch im Gefängnis nicht verloren?
    Lulu
    Wie angstvoll einem ums Herz wird, wenn man monatelang sich selbst nicht mehr gesehen hat! Dann bekam ich eine nagelneue Kehrichtschaufel. Wenn ich morgens um sieben ausfegte, hielt ich sie mir mit der Rückseite vors Gesicht. Das Blech schmeichelt nicht, aber ich hatte doch meine Freude. – Hol das Bild aus deinem Zimmer. Soll ich mitkommen?
    Alwa
    Um Gottes willen, du mußt dich schonen!
    Lulu
    Ich habe mich jetzt lang genug geschont.
    Alwa geht durch die Türe rechts ab, um das Bild zu holen.
    Lulu
allein
    Er ist herzleidend; aber sich vierzehn Monate mit der Einbildung plagen müssen – wer erträgt das! Er küßt mit Todesbangen, und seine beiden Knie schlottern wie bei einem ausgefrorenen Handwerksburschen. Aber in Gottes Namen! – –

Weitere Kostenlose Bücher