Dramen
Hätte ich in diesem Zimmer nur seinen Vater nicht in den Rücken geschossen!
Alwa
kommt zurück mit Lulus Bild im Pierrotkostüm
Es ist ganz verstaubt. Ich hatte es mit der Vorderseite gegen den Kamin gelehnt.
Lulu
Du hast es nicht angesehen, während ich fort war?
Alwa
Ich hatte infolge des Verkaufs unserer Zeitung so viel geschäftliche Dinge zu erledigen. Die Geschwitz würde es gerne bei sich in ihrer Wohnung aufgehängt haben, aber sie hatte Haussuchungen zu gewärtigen.
(Er hebt das Bild auf die Staffelei.)
Lulu
Nun lernt das arme Ungeheuer das Freudenleben im Hotel »Ochsenbutter« auch aus eigener Erfahrung kennen.
Alwa
Ich begreife noch jetzt nicht, wie die Ereignisse eigentlich zusammenhängen.
Lulu
Sie war als Diakonissin nach Hamburg gereist und hatte die Unterwäsche einer Cholerakranken nach deren Tod gegen ihre eigene gewechselt. Sie schickte sie mir, als sie zurück war. Wir verständigten uns durch Briefe, in denen immer nur das letzte Wort auf jeder Seite galt. Ich wurde ins Lazarett transportiert und lag schon nach zwei Tagen mit ihr zusammen in der Isolierbaracke. Da machte sie sich mir in allem so ähnlich wie möglich und wurde dann als geheilt entlassen. Heute kam sie noch einmal, um mich zu besuchen. Jetzt liegt sie dort als die Mörderin des Doktor Schön.
Alwa
Mit dem Bilde kannst du es, soweit es die äußere Erscheinung betrifft, immer noch aufnehmen.
Lulu
Im Gesicht bin ich etwas schmal, aber sonst habe ich nichts verloren. Man wird nur unglaublich nervös im Gefängnis.
Alwa
Du sahst schrecklich elend aus, als du hereinkamst.
Lulu
Das mußte ich, um uns den Springfritzen vom Halse zu schaffen. – Und du, was hast du in den anderthalb Jahren getan?
Alwa
Ich hatte mit einem Stück, das ich über dich geschrieben, einen Achtungserfolg in der literarischen Gesellschaft.
Lulu
Wer ist dein Schatz?
Alwa
Eine Schauspielerin, der ich eine Wohnung in der Karlstraße gemietet habe.
Lulu
Liebt sie dich?
Alwa
Wie soll ich das wissen! Ich habe die Frau seit sechs Wochen nicht gesehen.
Lulu
Erträgst du das?
Alwa
Das wirst du nie begreifen. Bei mir besteht die intimste Wechselwirkung zwischen meiner Sinnlichkeit und meinem geistigen Schaffen. So z. B. bleibt mir dir gegenüber nur die Wahl, dich künstlerisch zu gestalten oder dich zu lieben.
Lulu
Mir träumte alle paar Nächte einmal, ich sei einem Lustmörder unter die Hände geraten. Komm, gibt mir einen Kuß!
Alwa
In deinen Augen schimmert es wie der Wasserspiegel in einem tiefen Brunnen, in den man einen Stein geworfen hat.
Lulu
Komm!
Alwa
küßt sie
Deine Lippen sind allerdings etwas schmal geworden.
Lulu
Komm!
(Sie drängt ihn in einen Sessel und setzt sich ihm aufs Knie)
Graut dir vor mir? – Im Hotel »Ochsenbutter« bekamen wir alle vier Wochen ein lauwarmes Bad. Die Aufseherinnen benutzten dann die Gelegenheit, um uns, sobald wir im Wasser waren, die Taschen zu durchsuchen.
Alwa
Oh, oh!
Lulu
Du fürchtest, du könntest, wenn ich fort bin, kein Gedicht mehr über mich machen?
Alwa
Im Gegenteil, ich werde einen Dithyrambus über deine Herrlichkeit schreiben.
Lulu
Ich ärgere mich nur über das scheußliche Schuhwerk, das ich trage.
Alwa
Das beeinträchtigt deine Reize nicht. Laß uns der Gunst des Augenblickes dankbar sein.
Lulu
Mir ist heute gar nicht danach zumut. – Erinnerst du dich des Kostümballes, auf dem ich als Knappe gekleidet war? Wie mir damals die betrunkenen Frauen nachrannten! Die Geschwitz kroch mir um die Füße herum und bat mich, ich möchte ihr mit meinen Zeugschuhen ins Gesicht treten.
Alwa
Komm, süßes Herz!
Lulu
Ruhig; ich habe deinen Vater erschossen.
Alwa
Deswegen liebe ich dich nicht weniger. Einen Kuß!
Lulu
Beug den Kopf zurück.
Alwa
Du hältst meine Seelenglut durch die geschicktesten Künste zurück. Dabei atmet deine Brust so keusch. Und trotzdem, wenn deine beiden großen dunklen Kinderaugen nicht wären, müßte ich dich für die abgefeimteste Dirne halten, die je einen Mann ins Verderben gestürzt hat.
Lulu
Wollte Gott, ich wäre das! Komm heute mit nach Paris. Dort können wir uns sehen, so oft wir wollen, und werden mehr Vergnügen als jetzt aneinander haben.
Alwa
Durch dieses Kleid empfinde ich deinen Wuchs wie eine Symphonie. Diese schmalen Knöchel, dieses Cantabile; dieses entzückende Anschwellen; und diese Knie, dieses Capriccio; und das gewaltige Andante der Wollust. – Wie friedlich sich die beiden schlanken Rivalen in
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