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Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Titel: Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Redline Wirtschaft
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Unterkunft haben möchte, muss man mindestens Drogen- oder Alkoholprobleme vorweisen. Tatsächlich fangen welche genau deshalb an zu trinken! Absurd.
    Früher hatte ich zu alldem natürlich eine andere Meinung. Man lässt sich anstecken von diesen sogenannten Grundsätzen: »Wer nichts leistet, der ist Abschaum« und so weiter. Obwohl ich mich ja sozial engagiert habe. Aber das war so eine Art Ablassbrief. Das eigentliche Problem habe ich nicht hinterfragt. Seitdem ich selbst obdachlos bin, weiß ich, wie schnell man da reingerät.
    Zum Glück betritt in diesem Moment ein neuer Kandidat das Büro und lenkt den Sozialarbeiter ab. Dann wendet er sich wieder mir zu und stellt die wohl üblichen Fragen: »Wieso sind Sie wohnungslos?« – »Wo übernachtet in der letzten Zeit?« – »Wovon leben Sie?« Ich antworte offenbar zu seiner Zufriedenheit, meine Frau hätte mich rausgeschmissen, geschlafen hätte ich draußen und gelebt hätte ich vom Betteln. Der Angestellte schließt die Registrierung ab. Ich bekomme einen Platz in einem Vierbettzimmer zugewiesen.
    Einst war das Johanneshaus mit seiner demütigenden Atmosphäre berüchtigt, es hieß, man hole sich da die Krätze, Ungeziefer krieche durch die Räume. Auf den ersten Blick scheint es hier aber sauber zu sein und man hat mir frische Bettwäsche gegeben (vor Weihnachten ist immer Großreinemachen angesagt). Es bleibt die Trostlosigkeit des kahlen Raumes mit seinen vier Betten, die Luft ist verqualmt und überhitzt.
    Mario M., 31, ist mein Bettnachbar. Er hat sich vor zehn Jahren mit HIV infiziert. Die Krankheit ist ausgebrochen, heute lassen ihn die ständigen Schmerzen kaum mehr schlafen. Ich helfe ihm, sich aufzurichten. Mit tonloser Stimme erzählt er mir in dieser »heiligen« Nacht aus seinem Leben: »Gestern haben sie mich nach zweiwöchigem Aufenthalt aus dem Krankenhaus entlassen. Ich war nur am Husten, habe Blut gespuckt. Vor einem Jahr war ich schon mal drin, hatte einen Abszess an der Wirbelsäule. Der war so groß wie eine Pampelmuse. Da hat man mich in der Uniklinik aufgeschnippelt und sie haben mir ein Metallgitter reingepflanzt, damit der Knochen daran wieder hochwachsen kann. Ich hatte einen Schlauch im Rücken, der war so fett wie mein kleiner Finger. Ich lag vier Tage im künstlichen Koma. Als ich wach wurde, habe ich nur noch geheult.«
    Mario ist gelernter Friseur. Er arbeitete in einigen noblen Kölner Friseursalons zur Zufriedenheit der Kunden, bis er eine Stammkundin mit einer Bemerkung vergrätzt habe und ihm daraufhin fristlos gekündigt worden sei. »Danach begann mein Absturz. Arbeit verloren, konnte die Miete für meine Wohnung in der Innenstadt nicht mehr bezahlen. Rausgeklagt. Dann ein Jahr lang am Aachener Weiher im Freien gepennt, unter einer Trauerweide.« Marios größter Wunsch: »Eine feste Bleibe, und wenn’s nur ein ganz kleines Zimmer ist. Das wäre super.« Er darf wie alle anderen im Monat maximal fünf Tage in der Annostraße übernachten und kann erst von 18 Uhr an ins Obdachlosenheim, morgens um neun wird er wieder vor die Tür gesetzt. An den anderen Tagen wird er von Einrichtung zu Einrichtung geschoben. Eigentlich braucht Mario ständige Pflege und Betreuung. Aber die Plätze in den Einrichtungen sind rar und jetzt sind erst mal Feiertage, die Ämter bleiben geschlossen. Mario sagt, er hätte es vorher nicht mehr geschafft, sich um eine längere Aufnahme in den Billigunterkünften der Stadt zu kümmern; aber er wäre ohnehin überfordert, die notwendigen Behördengänge zu erledigen und die Anträge auszufüllen.
    Mario ist mit zwölf ins Heim geflohen, weil ihn sein Stiefvater ständig geschlagen hatte. »Das mag ich gar nicht erzählen, sonst fang ich wieder an zu heulen«, meint er und erzählt dann doch, dass der Stiefvater auch seinen sechsjährigen Bruder und seine Mutter immer wieder übel zugerichtet habe. Zu seiner Mutter hat er heute wieder Kontakt. Aber er will nicht bei ihr wohnen; sie wäre mit der Pflege und den Kosten überfordert.
    Es ist kurz vor 3 Uhr in der Nacht, als Mario mit seiner Erzählung zu Ende ist. Er bietet mir noch an, meine langen wilden Haare ein bisschen eleganter zu schneiden. »Vorne, das Gesicht, das bleibt. Aber die Seiten würde ich dir ein bisschen kürzen. Fasson. Aber nicht mehr als fünf Zentimeter.« Dann meint er, ich käme ihm doch irgendwie verdammt bekannt vor: »Du erinnerst mich an irgendeinen Schauspieler.«
    »Aus welchen Filmen denn?«, will ich wissen.
    »Ich

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