Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft
glaub, aus so Krimis. Eher so ’n Bösewicht.« Wir sagen uns Gute Nacht.
Ich versuche später, Mario wiederzufinden. Das ist schwierig, die Behörden haben sich offensichtlich auch weiterhin nicht veranlasst gesehen, ihn menschenwürdig unterzubringen. Monate später finde ich ihn dann in einem Wohnheim der Kölner Aidshilfe, die ihn für ein Jahr aufgenommen hat. Er erzählt, dass er am Neujahrstag von der Polizei in der Annostraße abgeholt wurde, um eine zweimonatige Gefängnisstrafe anzutreten. Der Grund: Er konnte eine Geldstrafe wegen wiederholten Schwarzfahrens nicht bezahlen.
Schöne Bescherung
Am nächsten Tag mache ich mich auf zum Hauptbahnhof. In der Zeitung habe ich gelesen, dass der Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU) am ersten Weihnachtstag höchstpersönlich Obdachlose und Bedürftige mit Wildschweinbraten verköstigen will. Ich reihe mich ein in die lange Schlange, die sich seit 11 Uhr morgens vor der Eingangstür des Sozialdienstes Katholischer Männer (SKM) neben dem Hauptbahnhof gebildet hat.
»Wen ich kenne, der kommt zuerst rein«, stellt der ehrenamtliche Türsteher, ein Sportdozent, klar, als der Pulk Frierender nach einer Stunde zu drängeln beginnt. »Wir wussten nicht, dass ihr diesmal so viele seid, aber keine Sorge, keiner wird leer ausgehen«, beschwichtigt er. »Wer fertig gegessen hat, kommt raus, dann kann der Nächste rein.« Er scheint hier sehr viele persönlich zu kennen, denn erst nach fast zwei Stunden Wartezeit werde ich mit zwei anderen eingelassen.
Der Kölner OB serviert zusammen mit seiner Frau das Drei-Gänge-Menü. Das Essen schmeckt. Die beiden sind ständig in Bewegung; man merkt ihnen an, dass diese christliche Geste von Herzen kommt. Meine Tischnachbarin, eine gut 50-jährige, deren gepflegtes Äußeres (noch) nicht verrät, dass sie seit einem halben Jahr obdachlos ist, überschlägt sich vor Dankbarkeit: »Das ist ja wie im Sechssternehotel, wie unser Oberbürgermeister das hier macht!«
»Hat jeder sein Hauptgericht bekommen?«, fragt der Bürgermeister. Dann reicht er mir den Nachtisch und schaut mich dabei freundlich an. Zum Glück erkennt er mich nicht, obwohl er mich vor nicht allzu langer Zeit zusammen mit Salman Rushdie bei einem Empfang getroffen hat. Ich nehme die Gelegenheit wahr und stelle ihm eine Frage. Zwei Wochen zuvor war nämlich bekannt geworden, dass sein Parteifreund, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, 1,1 Millionen Euro für Obdachlosenprojekte aus dem Landeshaushalt gestrichen hat. »Wie kann er das verantworten, wo immer mehr Menschen arbeitslos werden und auf der Straße landen? Ist das denn christliche Politik?«
Ich hatte gehofft, der Oberbürgermeister würde ohne Presse und Öffentlichkeit die Parteiräson einmal beiseitelassen. Aber er weicht aus: »Ich kann das jetzt nicht im Einzelnen erklären. Jedenfalls ist mit dem Geld viel Mist gemacht worden. Außerdem hat die Stadt so viele Angebote, dass eigentlich niemand obdachlos sein muss.« Eine kühne These bei geschätzten 200 bis 300 Menschen, die in Köln auf der Straße leben, und weniger als 100 Betten in den Nachtasylen.
Dann wird er wieder weihnachtlich: »Ich möchte euch jetzt allen schöne Feiertage wünschen. Für jeden gibt’s jetzt noch eine Weihnachtstüte mit schönen Sachen drin. Wem die Sachen nicht passen, der kann ja mit anderen tauschen.« Mit Handschlag überreicht er mir eine Geschenktüte von Galeria Kaufhof. »Ich freu mich drauf!«, steht drauf. Ich bedanke mich und ziehe als Erstes eine edle schwarze Jeans von Pierre Cardin aus der Weihnachtstüte. Mehrfach preisreduziert, wie ich feststelle, zuletzt auf 25 Euro. Vielleicht liegt es an der Größe. »Size 66«, da passen zwei von meiner Sorte rein. Normalerweise trage ich Größe 32. Ich würde die Hose natürlich gern tauschen oder verschenken, aber auch in den kommenden Wochen wird mir kein derart umfangreicher Obdachloser begegnen. Das Gebäck, das mir dann entgegenkrümelt, entsorge ich vorsichtshalber. Das Haltbarkeitsdatum liegt ein halbes Jahr zurück.
Die Zuständigkeitsfrage
Am ersten Weihnachtstag, ich bin auf der Suche nach einem Schlafplatz – ich will »Platte machen« –, treffe ich gegen 21 Uhr vor dem Kölner Hauptbahnhof einen jungen Mann. Tränen laufen ihm übers Gesicht, er macht einen verwirrten Eindruck und kann sich kaum verständlich machen. Das Hemd ist ihm aus der Hose gerutscht, er zittert vor Kälte. Stockend berichtet er, dass er aus
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