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Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Titel: Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Redline Wirtschaft
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einem Heim für betreutes Wohnen in Bad Honnef, einem Städtchen 30 Kilometer südlich von Köln, weggelaufen sei, seit drei Tagen auf der Straße schlafe und in der letzten Nacht ausgeraubt worden sei.
    Ich hake ihn unter und gemeinsam suchen wir die Bahnhofspolizei auf. Dort nennt er seinen Namen, Thomas S., und sein Geburtsdatum. Der Polizist schaut in den Computer: »Also, unter dem Namen ist er nicht gemeldet. Da können wir dann leider nichts machen.«
    »Aber er braucht dringend Hilfe«, wende ich ein, »es ist Frost angesagt für heute Nacht.«
    »Tut mir leid«, wehrt der Polizist ab. »Sie können ja mal zur Bahnhofsmission mit ihm gehen, die sind für solche Fälle zuständig.«
    Am Gleis 1 finden wir die Bahnhofsmission und schauen durch die Fenster. Auf unser Klopfen öffnet ein Bärtiger vorsichtig die Fensterluke und mustert uns. Als ich nach einer Unterkunft für den Hilflosen frage, wird er ungehalten: »Was fragen Sie denn jetzt um diese Uhrzeit! Ich meine, der Tag hat 24 Stunden! Ich verstehe so was einfach nicht. Der Mann ist seit gestern hier und heute auch schon da rumgeturnt.« Ich appelliere an sein Mitgefühl: »Aber er kann unmöglich draußen schlafen, er hat keinen Schlafsack und ist nur leicht bekleidet. Da erfriert er noch. Und schließlich ist Weihnachten.«
    Der Diensthabende bleibt ungerührt: »Na, der wird ja nicht gleich … Wenn er sich tagsüber nicht an die entsprechenden Stellen wendet, können wir jetzt auch nichts mehr machen.« Er ist der Ansicht, die Polizei sei zuständig. Mein Hinweis, dass die uns gerade zu ihm geschickt habe, interessiert ihn nicht. Der Mann beendet das Gespräch und schließt sein Fenster.
    Also zurück zum SKM, wo ich mittags meinen Wildschweinbraten genossen habe. Die Eingangstür ist verschlossen. Eine junge Frau kommt dazu, sie spricht kaum Deutsch, auch kein Englisch. Aus Russland komme sie, so viel kann ich verstehen. Und dass sie durch die Stadt geirrt und nirgends untergekommen sei, entnehme ich ihren Gesten.
    Nach einigem Suchen finden wir die Sprechanlage, eine jüngere Frauenstimme antwortet. Weil ich weiß, dass der SKM am Hauptbahnhof ausschließlich Suchtkranke betreut, behaupte ich, mein orientierungsloser Freund sei drogenabhängig und die junge Russin auch. Die Mitarbeiterin des SKM will uns nicht einlassen, immerhin rückt sie zwei Adressen raus. Dort könnten die beiden wohl noch unterkommen. Thomas soll in das sogenannte Notel in der Viktoriastraße, in der Nähe des Bahnhofs. Die Russin könne ins Elisabeth-Fry-Haus, eine Notaufnahmestelle speziell für Frauen, etwas weiter weg.
    Mittlerweile weht der Wind immer eisiger über den Bahnhofsvorplatz. Einige Reisende hasten zu den Taxis, eng in ihre Mäntel oder Jacken gehüllt. Es ist 22:30 Uhr, um 23:00 Uhr schließen die beiden Heime. Ich missachte wieder mal den vielfach bemühten Leitsatz des Vorzeigejournalisten Hajo Friedrichs, der da lautet: »Sich nicht mit einer Sache gemeinmachen, auch nicht mit einer guten«, und begleite ganz unjournalistisch die beiden abgerissenen Gestalten zum Taxistand. Die Adressen der Heime notiere ich auf einem Zettel und will ihn einem Taxifahrer reichen. Er schaut uns angewidert an und weigert sich, die beiden zu befördern. Der zweite reagiert ähnlich und murmelt, er kenne die Adressen nicht. Im dritten Taxi lässt eine Frau die Scheibe herunter. Sie wirft einen Blick auf unsere nicht gerade weihnachtliche Kleidung und winkt ebenfalls ab. Da versuche ich es mit einer Notlüge. Sehr energisch sage ich: »Ich warne Sie. Ich mache gerade einen Test für die Taxiinnung. Es geht darum, ob die Fahrer ihre Beförderungspflicht ernst nehmen.« Die Frau beißt die Zähne zusammen und quittiert die 25 Euro, den doppelten Fahrpreis, den ich im Voraus zahle.
    Schlafplatz auf dem Asphalt
    Ich nehme meine Suche nach einem Schlafplatz wieder auf. Einige Geschäftseingänge der größten Kölner Einkaufsstraße, der Hohen Straße, in der tagsüber Zehntausende shoppen, sind bereits belegt. Im weiträumigen Eingang eines Schuhgeschäfts hat sich ein jüngeres Paar in seine Schlafsäcke vergraben. Ich steuere auf sie zu. »Habt ihr was dagegen, wenn ich mich neben euch niederlasse?«, frage ich. Es ist trocken hier und einigermaßen windstill. Der junge Mann, Anfang 20, leicht schlaftrunken, grummelt: »Ja, da hinten kannste Platte machen.« Aber seine Gefährtin, plötzlich hellwach und sehr energisch, verteidigt ihr Revier: »Nä, Alter, komm, geh weiter! Zieh

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