Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft
eine Nacht schläft, gilt als Tourist. So sind die Regeln.«
Die »Regeln« sind allerdings von Stadt zu Stadt verschieden und nicht leicht zu durchschauen. Und auch in Köln sind sie nicht so, wie es mir der freundliche Angestellte erklärt hat. Offiziell gibt es keine Mindestaufenthaltsdauer. Allerdings ist der Aufenthalt begrenzt hier auf fünf Tage im Monat, davon drei Tage am Stück. Will man häufiger die Nacht in einem Haus verbringen, muss man sich entweder fest in eine städtische Notunterkunft einweisen lassen (mit Vertrag und allem Drum und Dran), also die Stufenleiter zum »Wohnungslosen« hinaufklettern – oder weiter »nicht sesshaft« bleiben und wechselnde Asyle aufsuchen. Oder auf der Straße übernachten.
Während der Angestellte auf das Foto im Ausweis meines Doppelgängers starrt, fragt er unvermittelt: »Kennen Sie einen Herrn Wallraff?« Ich befürchte schon, enttarnt zu sein, bevor es überhaupt anfängt, und tue so, als wüsste ich nicht, wovon er spricht. Dann wiederholt er mit Nachdruck und schaut mich dabei durchdringend an: »Kennen Sie den Wallraff?«
»Nee, wer soll das sein?«, antworte ich unschuldig.
Manfred, Softwareunternehmer
(eine Begegnung im Johanneshaus)
Ich hatte eine kleine Computerfirma mit zehn Angestellten. Wir haben Systeme für Großfirmen programmiert. Eine dieser Firmen, Zulieferer für Audi-Ersatzteile im Raum Stuttgart, hat mich um 1,2 Millionen Euro gebracht. Dieser Firma wurde wegen Subventionsbetrugs der Prozess gemacht. Der Staat hat als Erster zugegriffen. Ich habe für meine Arbeit nichts mehr bekommen. Stattdessen wurde ich wegen Insolvenzverschleppung verurteilt, weil ich zu lange versucht hatte, meine Firma, mein Lebenswerk, zu retten. Den wahren Zustand hatte ich verschleiert. Ich habe fünf Monate gesessen. Nach der Haft hatte ich nichts mehr, keine Wohnung, Geld sowieso nicht. Seitdem, seit einem Jahr, kenne ich Obdachloseneinrichtungen.
Ich habe von Nord nach Süd in der gesamten BRD versucht, Arbeit zu finden. Aber das ist natürlich schwer: ein vorbestrafter Diplom-Ingenieur! Der stellt doch nur noch ein Sicherheitsproblem dar.
Früher war ich in meiner Heimatstadt im Kirchenvorstand, hatte ehrenamtlich für die »Tafel« Essen ausgefahren. Jetzt habe ich oft nicht mal den einen Euro, den man als Bedürftiger bei der Tafel zahlen muss. Und musste erleben: Man hat mich stehen lassen. Ich habe nichts gekriegt.
Manchmal habe ich draußen geschlafen. Wenn in einer Übernachtungseinrichtung kein Platz frei war und die nicht bereit waren, mit Notbetten zu helfen, dann stand ich da. Zuletzt in Karlsruhe. Bin die ganze Nacht rumgelaufen.
Eins der schlimmsten Erlebnisse war Frankfurt, das Containerdorf im Ostpark. Vier Leute in einem Minicontainer! Jeder Hund hat mehr Platz. Zwei Doppelstockbetten – wenn man oben liegt, hat man ungefähr 30 Zentimeter Platz bis zur Decke –, ein Tisch, der ist festgeschraubt, zwei Hocker. Das heißt, nur zwei Mann können gleichzeitig essen. Der Ort ist verrufen, weil die Menschen da wie in einem Lager gehalten werden.
Aber ich habe dort auch sehr schöne Sachen erlebt. Es war wie in einer urchristlichen Gemeinde, die Leute haben alles untereinander geteilt. Man musste einfach teilen, es ging nicht, dass sich einer hinsetzte und aß, und die anderen schauten nur zu. Dieser Zusammenhalt war erstaunlich und man hat’s irgendwie fast nicht geglaubt, dass es so etwas heutzutage noch gibt.
Was schlimm war: München. Da habe ich bei der Heilsarmee geschlafen, am Sendlinger Tor, mit 16 Leuten in einem Raum, im Keller. Man bekam eine Bettkarte, auf meiner stand drauf »Keller 1«. Da war kein Fenster drin, gar nichts, nur ein Lichtschacht mit Glasbausteinen. Hygiene? Man musste zum Waschen oder Duschen fast nackt 20 bis 25 Meter über den Hof laufen. Man konnte dort nämlich nicht einmal seine Sachen aufhängen.
In Frankfurt hab ich einen Sparkassendirektor kennengelernt, der durch eine Scheidung plötzlich abgestürzt ist. Der das nervlich nicht verkraftet hat. Auch ein Maschinenbauer war mit uns im Container. Ich hab Menschen aus allen Berufsschichten kennengelernt, vom Bäckermeister bis hin zum Koch. Viele hatten ihr gesamtes Hab und Gut verloren, waren psychisch am Ende. Auch ein Arzt war dabei, der seine Approbation verloren hatte, wegen Alkohol. Ein Problem, das durch die Regeln in den Notschlafstellen sogar noch verschärft wird. Es gibt einen Begriff dafür, »fest machen«. Das heißt, wenn man eine feste
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