Dray Prescot 01-Transit nach Scopio
nicht, warum ich nicht daran dachte, und ich stelle mir manchmal vor, daß das vielleicht an meinem inneren Widerstand lag, ein Schiff im Stich zu lassen und mein Vertrauen in mich selbst zu enttäuschen, an dem Gefühl, daß ich keinem Tier gestatten durfte, mich zu besiegen – und daß dieses einfache Blattboot der Preis war, wenn es zum Kampf zwischen uns kam.
Ich atmete langsam tief ein, stieß die Luft vorsichtig wieder aus und machte noch einen Atemzug, füllte meine Lungen. Die Luft war frisch und süß. Mein Blick löste sich nicht von den roten runden Augen am Ende der auf und ab zuckenden Stengel.
»Na, alter Knabe«, sagte ich mit leiser, beruhigender Stimme und achtete darauf, mich nicht so zu bewegen daß sich das Monstrum zum Angriff veranlaßt sah. »Du oder ich – das ist hier wohl die Frage.« Die Augenstengel setzten ihre Bewegung fort. »Und glaub mir, du häßlicher Teufelsbraten – ich bin es nicht!«
Leise und beruhigend sprechend, so wie sich mein Vater oft mit seinen geliebten Pferden unterhalten hatte, fuhr ich fort: »Ich würde dir am liebsten den Bauch aufschlitzen, damit deine Gedärme in den Fluß fallen, du ekliges Ungeheuer!«
Die Situation war lächerlich, und rückblickend wundere ich mich über meine Gefühllosigkeit, obwohl mir klar ist, daß ich nicht mehr der Mann von damals bin, frisch aus dem harten Leben an Bord eines Segelschiffs aus dem achtzehnten Jahrhundert gerissen, ein Opfer all des abergläubischen Unsinns, von dem ehrliche Seeleute geplagt werden. Doch inzwischen ist viel geschehen.
Und um die Wahrheit zu sagen – ich redete nicht nur, um das Ungeheuer in Sicherheit zu wiegen, sondern auch um den Moment hinauszuschieben, da ich handeln mußte. Ich sah die Schärfe und die gezackten Kanten der Scheren, die Stärke der Eßwerkzeuge und die hervorsickernde Flüssigkeit des Giftstachels. Ich erinnerte mich an die Fabel: Der Frosch glaubte dem Skorpion und gewährte ihm Geleit über seinen Fluß, und der Skorpion stach den Frosch tot, weil, so sagte der Skorpion entschuldigend, dies in seiner Natur läge. »Also, Skorpion, es liegt in meiner Natur, mich von nichts und niemand besiegen zu lassen, ohne mich zu wehren, und so eklig wie du aussiehst, liegt es sicher in deiner Natur, mich zu töten, deshalb mußt du meiner Natur schon zubilligen, daß sie dich daran hindern will. Und daß sie dich, wenn nötig, töten will, damit ich geschützt werde.«
Das Ding schwankte auf seinen acht Beinen sanft hin und her, und es pulsierte, und die Augen am Ende der Stengel fuhren auf und nieder, auf und nieder.
Beide Handflächen flach auf die grüne Membran des Blatts zwischen den dunkleren Grüntönen der Blattadern gelegt, machte ich Anstalten, aufzuspringen, mich gegen die gewaltigen natürlichen Waffen zu stellen und das Ding über Bord zu hieven. Ich spannte die Muskeln, hielt den Atem an und stieß mich mit aller Kraft ab.
Der Skorpion richtete sich auf, der Schwanz krümmte sich und entspannte sich wieder, die Scheren klapperten zusammen – und mit einem gewaltigen Sprung warf sich das Tier in einer Art Salto aus dem Boot. Ich eilte an die Bordwand und starrte ins Wasser. Gischt umgab einen achteckigen Umriß mit einem hochpeitschenden spitzen Schwanz – dann verschwand der Skorpion.
Er war fort.
Ich ließ den aufgestauten Atem aus meinen Lungen entweichen. Zum erstenmal wurde mir bewußt, daß das Ding keinen Geruch gehabt hatte. War es überhaupt wirklich gewesen? Oder hatte es sich um eine Halluzination gehandelt, die meiner überhitzten Phantasie entsprungen war? Hastete ich noch immer verzweifelt durch den afrikanischen Dschungel, halb wahnsinnig und dem sicheren Tode nahe? War ich vielleicht noch an den Pfahl gefesselt, während mein Geist in eine Phantasiewelt entfloh, um den Qualen zu entgehen, die meinem Körper zugefügt wurden? Nein, ich wußte , daß ich hier war, auf einer Welt, die nicht die Erde war, unter der Riesensonne Antares. Ich wußte es, ich hatte nicht den geringsten Zweifel.
Ich schirmte meine Augen ab und blickte zum Himmel auf. Das Licht strömte von der Sonne herab, rötlich, wärmend und beruhigend. Doch eine neue Farbe kroch über den Horizont herauf und ließ das gelbe Gras grüner erscheinen; mit tränenden Augen, durch die Blitze zu zucken schienen, starrte ich auf eine zweite Sonne, die am Himmel aufstieg, in einem weichen Grünton leuchtend, den Fluß und die Ebene in neues Licht tauchend.
Der grüne Stern war der Gefährte
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