Drecksspiel: Thriller (German Edition)
Ewigkeit vor der Tür warten lassen.
Was war so wichtig gewesen? Sein iPhone?
Toni strich sich die nassen Strähnen aus der Stirn. »Und wer sind Sie?«
»Arthur Kuhn. Mir gehört die Agentur . Die Pixelschubser. «
»Ich dachte, sie gehört Herrn Nedel.«
»Na ja, uns beiden. Wir sind die Geschäftsführer.«
»Sozusagen?«
»Wie bitte?«
»Vergessen Sie’s«, brummte Toni.
Kuhn sah ihn irritiert an. »Worum geht es denn?«
»Darf ich reinkommen?« Toni wartete die Antwort nicht ab.
Seine Schuhe schmatzten, während er sich an dem Schnösel vorbei schob und einen großen Raum betrat, dessen weißes Mobiliar seine müden Augen blendete.
Toni fragte: »Geht es Ihnen gut?«
»Ja, doch, natürlich.«
»Und Ihr Kinn?«
»Ach das. Nichts.« Kuhn lehnte sich an einen der Schreibtische und zupfte um Lässigkeit bemüht seinen dünnen Schnurrbart. Doch alles an ihm wirkte verkrampft, die Haltung, sein dämliches Lächeln, sogar das Rumgeeiere mit seinem iPhone.
Toni holte die Marlboro-Packung hervor.
»Eigentlich sollte hier nicht geraucht werden.« Kuhn hüstelte. »Würde es Ihnen etwas …?«
»Ja, würde es«, sagte Toni und steckte sich die Zigarette an. Er pustete den Rauch aus. »Und was heißt nichts ?«
»Wie bitte?«
Toni tippte sich ans Kinn.
»Ach so«, Kuhn spielte mit seinem Telefon, »ich habe mich gestoßen, also, als ich mich zur Tür beeilt habe.«
»Beeilt?«, argwöhnte Toni und tippte mit seiner Schuhspitze demonstrativ in die Wasserpfütze, die sich unter ihm auf den weißen Fliesen ausbreitete.
Draußen legte das Gewitter noch einen Zahn zu. Donner im Sekundentakt, dazu wilde Blitze, deren heller Schein das Weiß des Zimmers noch unerträglicher machte.
Die Büroeinrichtung mochte ein Vermögen gekostet haben, wie es sich an einem Standort wie dem der Pixelschubser gehörte, Berlin-Mitte, Hackescher Markt, der Quadratmeter nicht unter 250 Euro. Aber sie war noch weniger ansprechend als die in Leylas armseliger Wohnung.
Was Toni an den eigentlichen Grund seines Besuchs erinnerte. Er hielt Ausschau nach einem Aschenbecher, den er natürlich nicht fand. Er schnippte die Asche in ein volles Wasserglas auf einem der Schreibtische. »Wo ist Philip Nedel?«
»Der ist heute nicht da.«
»Heute?«
»Er ist im … Urlaub.«
»Urlaub?«
»Das ist nicht weiter ungewöhnlich, oder? Es sind Ferien. Wollen Sie mir nicht endlich sagen, was los ist?« Ein besonders heftiger Donnerschlag brachte die Fensterscheiben zum Klirren.
Kuhn wirkte nervös, was für sich genommen nicht verdächtig war. Die meisten Menschen reagierten so, wenn die Polizei überraschend vor ihrer Türe stand. Das Problem war nur: Überrascht schien Kuhn keineswegs zu sein.
Toni sagte: »Die Schwester von Herrn Nedel ist tot.«
Kuhn glitt das Telefon aus der Hand. Er fing es rechtzeitig auf, bevor es auf den weißen Fliesen zersprang. »Wie bitte?«
»Marlene Nedel«, sagte Toni. »Seine Schwester. Sie wurde ermordet. Letzte Nacht.«
Kuhns Gesicht verlor an Farbe.
Im Zimmer nebenan ging scheppernd etwas zu Boden.
*
Hannah verlagerte ihr Gewicht, hielt die Balance, blieb stehen. Sie schnaufte erleichtert. Millie gluckste und warf ihre Ärmchen und Beinchen hin und her, als wollte sie ihre Mutter anspornen.
Los doch, du schaffst das!
Hannah trippelte los. Die gebückte Haltung, in die sie die Fesseln am Stuhl zwangen, war unbequem und anstrengend. Nur zentimeterweise bewegte sie sich vorwärts. Immer wieder musste sie stehen bleiben, weil sie durch die Nase kaum Luft bekam. Außerdem platzte die Schnittwunde auf. Durch ihre Brust wühlte sich erneut glühender Schmerz.
Es dauerte eine quälende Ewigkeit, bis sie endlich den Kamin erreichte. Draußen war es inzwischen fast schon wieder dunkel. Regen prasselte gegen die Fensterscheibe. Ein Blitz zerteilte die Finsternis. Schatten zuckten gespenstisch an der Wohnzimmerwand. Millies munteres Brabbeln erstarb.
Hannah drehte sich um 180 Grad und bückte sich so gut es ging nach vorne, bis der Stuhl auf ihrem Rücken im schrägen Winkel nach oben zeigte. Sie bewegte sich rückwärts, bis die hinteren Stuhlbeine gegen den Kaminsims stießen.
Weil ihre Kräfte nachließen, musste sie eine Pause einlegen.
Ein Donnern erscholl. Millie begann wieder zu weinen.
Worauf wartest du? Beeil dich!
Hannah streckte ihren Körper durch. Sie rang den Schmerz nieder.
Los doch, mach weiter!
Die Querstreben der Stuhlbeine legten sich über die senkrechten Metallstreben des
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