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Drei Dichter ihres Lebens

Drei Dichter ihres Lebens

Titel: Drei Dichter ihres Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Brüderlichkeit jeder Völkergemeinschaft Festigkeit geben. Insolange aber diese religiöse,diese ethische Bruderschaft noch nicht die gegenwärtige Form des Zwangsbürgers ersetzt, so lange erklärt Tolstoi eine wahre Sittlichkeit nur möglich im unsichtbaren Geheimnisraum des Individualgewissens. Da der Staat identisch ist mit Gewalt, so darf sich ein ethischer Mensch nicht mit dem Staate identifizieren. Was not tut, ist eine religiöse Revolution, ein Sichlossagen jedes Gewissensmenschen von jeder Gewaltgemeinschaft. Darum stellt sich Tolstoi selbst mit entschlossenem Ruck außerhalb der Staatsformen und deklariert sich sittlich für unabhängig von jedem Pflichtgebot außer dem seines Gewissens. Er aberkennt sich »eine ausschließliche Zugehörigkeit zu irgendeinem Volke und Staate oder eine Untertanenschaft unter irgendeine Regierung«; er stößt sich freiwillig aus der orthodoxen Kirche, er verzichtet aus Prinzip auf den Appell an Justiz oder irgendeine statuierte Einrichtung der gegenwärtigen Gesellschaft, nur um nicht den Finger des »Teufels Gewaltstaat« zu fassen. Man lasse sich darum nicht durch die evangelische Sanftheit seiner Brüderlichkeitspredigten, durch die Überfärbung mit einer christlich-demütigen Diktion, die Anlehnung an das Evangelium hinwegtäuschen über das vollkommen Staatsfeindliche seiner Sozialkritik. Seine Staatslehre ist die erbittertste Antistaatslehre und seit Luther der vollkommenste Bruch eines einzelnen Menschen mit dem neuen Papismus, dem Unfehlbarkeitsgedanken des Eigentums. Selbst Trotzki und Lenin sind theoretisch nicht um einen Schritt über das »Alles muß geändert werden« Tolstois hinausgegangen, und genau wie Jean-Jacques Rousseau, der »ami des hommes«, mit seinen Schriften der Französischen Revolution die Minengänge höhlte, aus denen sie dann das Königtum in die Luft schmetterte, so hat kein Russe wuchtiger die Grundfesten der zaristischen, der kapitalistischen Ordnung erschüttert und sturmreif gemacht als dieser Radikalrevolutionär, dem man bei uns, durch den patriarchalischen Bart und eine gewisse Öligkeit der Doktrin getäuscht, einzig als Sanftmutsapostel anzusehen beliebt. Allerdings: genau wie Rousseau über die Sansculotten, hätte Tolstoi sich zweifellos über die Methodik des Bolschewismus entrüstet, denn er haßte Parteien – »welche der Parteien auch siegt, sie müßte, um ihre Macht zu erhalten, nicht nur alle vorhandenen Gewaltmittel anwenden, sondern noch neue erfinden«, steht prophetisch in seinenSchriften – aber eine aufrichtige Geschichtsdarstellung wird einmal bezeugen, daß er ihr bester Wegbereiter gewesen, daß alle Bomben aller Revolutionäre nicht dermaßen unterhöhlend und autoritätserschütternd in Rußland gewirkt haben, wie die offene Auflehnung dieses Einzigen und Größten gegen die scheinbar unüberwindbaren Mächte seiner Heimat: den Zaren, die Kirche und den Besitz. Seit dieser Genialste aller Diagnostiker den unterirdischen Baufehler unserer Zivilisationskonstruktion entdeckte, nämlich, daß unser Staatsgebäude nicht auf Humanität, auf Menschengemeinschaft, sondern auf Brutalität, auf Menschenbeherrschung beruht, hat er seine ungeheure ethische Stoßkraft dreißig Jahre lang in immer wieder erneuten Attacken gegen die russische Weltordnung geworfen, Winkelried der Revolution, ohne sie zu wollen, sozialer Dynamit, zersprengende, zerstörende elementarische Urkraft, und unbewußt damit Repräsentant seiner russischen Mission. Denn zwanghaft muß alles russische Denken, um aufzubauen, vorerst radikal und bei den Wurzeln zerstören – nicht zufällig bleibt keinem seiner Künstler erspart, zuvor in die schwärzesten Schächte des lichtlosesten, weglosesten Nihilismus niederzustürzen, um dann erst aus brennendster, ekstatischer Verzweiflung sich inbrünstig wieder neue Gläubigkeiten zu erzwingen; nicht wie wir Europäer, in zaghaften Verbesserungen, in pietätvoll aufpfropfender Vorsicht, sondern brüsk wie ein Holzfäller mit dem rechten Niederreißemut der gefährlichen Experimente geht der russische Denker, der russische Dichter, der russische Tatmensch auf die Probleme los. Ein Rostopschin zögert nicht, um der Idee des Sieges willen, Moskau, dies miraculum mundi, bis auf die Hausschwellen niederzubrennen, und ebensowenig Tolstoi – hierin Savonarola gleich – das ganze Kulturgut der Menschheit, Kunst, Wissenschaft, auf den Scheiterhaufen zu verbannen, nur damit eine neue und bessere Theorie

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