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Drei Dichter ihres Lebens

Drei Dichter ihres Lebens

Titel: Drei Dichter ihres Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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verneint wird, sei es als Mittel, als Waffe, als Recht oder vorgeblich göttliche Einrichtung, bestimmt, was immer, unter welch immer einem Vorwande zu schützen, Nationen, Religionen, Rasse, Eigentum, allüberall, wo eine human gerichtete Sittlichkeit sich auflehnt, Blut zu vergießen – überall empfängt noch heute jeder sittliche Revolutionär von Tolstois Autorität und Inbrunst eine brüderlich bestätigende Kraft. Allorts, wo ein unabhängiges Gewissen statt der erkalteten Formeln der Kirche, der herrschgierigen Forderung des Staates, einer eingerosteten und schematisch funktionierenden Justiz die letzte Entscheidung nur dem brüderlichen Menschheitsempfinden als der einzig moralischen Instanz zuweist, darf es sich auf die vorbildliche Luthertat Tolstois berufen, der die Menschen im Menschlichen anruft, daß jeder in jedem Falle nur »mit dem Herzen« richte.
    Welches »Böse« aber, dem wir zu widerstreben haben, ohne Gewalt anzuwenden, meint nun Tolstoi? Nichts anderes als sie selbst, die absolute Gewalt, mag sie ihre Muskeln hinter dem pathetischen Kleiderkram von Volkswirtschaft, nationaler Prosperität, völkischer Aspirationen und kolonialer Expansionen verstecken, mag sie noch so geschickt Machttrieb und Bluttrieb des Menschen zu philosophischen und vaterländischen Idealen umfälschen – wir dürfen uns nicht täuschen lassen: selbst in den verlockendsten Sublimierungen dient
    Gewalttätigkeit immer statt der Verbrüderung der Menschheit bloß der gesteigerten Selbstbehauptung einer einzelnen Gruppe und verewigt damit die Verungleichung der Welt. Jede Gewalt meint Besitz, ein Haben und Mehrhabenwollen, darum beginnt alle Ungleichheit für Tolstoi beim Eigentum. Nicht umsonst hat der junge Adelige Stunden mit Proudhon in Brüssel verbracht: noch vor Marx postuliert Tolstoi, als der damals radikalste aller Sozialisten: »Das Eigentum ist die Wurzel alles Übels und aller Leiden, und die Gefahr eines Zusammenstoßes liegt zwischen denen, die Eigentum im Überfluß, und denen, die keines haben.« Denn um sich zu erhalten, muß der Besitz notwendigerweise defensiv und sogar aggressiv werden. Gewalt ist notwendig, um Eigentum zu erraffen, notwendig, um Besitz zu vergrößern,notwendig, um ihn zu verteidigen. So schafft das Eigentum sich den Staat zu seinem Schutze, der Staat zu seiner Selbstbehauptung wiederum organisierte Formen brachialer Gewalt, die Armee, die Justiz, »das ganze Zwingsystem, das nur dient, das Eigentum zu schützen«, und wer sich dem Staate einordnet und ihn anerkennt, wird mit seiner Seele diesem Machtprinzip hörig. Ohne es zu ahnen, dienen nach Tolstois Auffassung selbst die scheinbar unabhängigen, die geistigen Menschen im modernen Staate einzig der Besitzerhaltung einiger weniger, sogar die Kirche Christi, die »in ihrer wahren Bedeutung staatsaufhebend war«, wendet sich »mit lügnerischen Lehren« von ihrer eigensten Pflicht ab. Die Künstler wiederum, sie, die freigeborenen berufenen Anwälte des Gewissens, Verteidiger des Menschenrechts, schnitzen an ihren elfenbeinernen Türmchen und »schläfern das Gewissen ein«. Der Sozialismus versucht Arzt zu sein am Unheilbaren, die Revolutionäre, die einzigen, die in richtiger Erkenntnis die falsche Weltordnung von Grund auf zersprengen wollen, gebrauchen fehlhafterweise selbst das mörderische Mittel ihrer Gegner und verewigen das Unrecht, indem sie das Prinzip des »Bösen« unangetastet lassen, ja noch heiligen: die Gewalt.
    Falsch und morsch also im Sinn dieser anarchistischen Forderungen das Fundament des Staates und unserer gegenwärtig gültigen Gesellschaftsordnung: vehement weist darum Tolstoi alle demokratischen, philanthropischen, pazifistischen und revolutionären Verbesserungen der Regierungsform als vergeblich und unzulänglich zurück. Denn keine Duma, kein Parlament und am wenigsten eine Revolution erlösen die Nation vom »Bösen« der Gewalt: ein Haus auf schwankem Grund kann nicht gestützt werden, man kann es nur verlassen und sich ein anderes erbauen. Der moderne Staat aber ruht auf dem Machtgedanken, nicht auf der Brüderlichkeit: folglich ist er für Tolstoi unwiderruflich zum Einsturz verurteilt, und alles soziale und liberale Flickwerk verlängert nur seinen Todeskampf. Nicht die staatsbürgerliche Beziehung zwischen Volk und Regierung, sondern die Menschen selbst müssen geändert werden : statt der gewaltsamen Zusammenpressung durch die Staatsmacht muß eine innigere seelische Bindung durch

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