Drei Dichter ihres Lebens
allerüberzeugendste Wort: »Früher sagtest du, du seist unruhig, weil du den Glauben nicht hättest. Warum bist du jetzt nicht glücklich, da du sagst, ihn zu haben?« – ein ganz einfaches und unwiderlegliches Argument. Denn nichts deutet bei Tolstoi nach seiner Konversion zum Volksgotte an, daß er in diesem seinem Glauben Seelengelassenheit gefunden habe; im Gegenteil, immer hat man das Gefühl, er rette, sobald er von seiner Lehre spricht, eine Unsicherheit der Überzeugung in eine schreiende Gewißheit hinein. Alle Akte und Worte Tolstois gerade in jener Zeit der Bekehrung haben einen unangenehmen Schreiton, etwas Ostentatives, Gewaltsames, Zänkisches, Zelotisches. Seine Christlichkeit posaunt wie eine Fanfare, seine Demut schlägt Pfauenrad, und wer feinere Ohren hat, spürt eben in der Übertreiblichkeit seiner Selbsterniedrigung etwas vom alten Tolstoi-Hochmut, nur umgewandelt jetzt in einen Verkehrtstolz auf die neue Demut. Man lese doch nur die berühmte Stelle seiner Beichte, in der er seine Bekehrung »beweisen« will, indem er sein eigenes früheres Leben bespeit und verunglimpft: »Ich habe im Kriege Menschen getötet, ich habe Duelle ausgefochten, ich vergeudete im Kartenspiel das den Bauern abgepreßte Vermögen und züchtigte sie grausam, ich hurte mit leichtsinnigen Weibern und betrog die Männer. Lüge, Raub, Ehebruch, alle Art Trunkenheit und Brutalität, jede Schandtat beging ich, nicht ein Verbrechen gab es, das ich unterließ.« Und damit niemand diese angeblichen Verbrechen ihm als dem Künstler entschuldige, fährt er fort in seiner lärmenden Gemeindebeichte: »Während dieser Zeit begann ich zu schriftstellern aus Eitelkeit, Gewinnsucht und Hochmut. Um den Ruhm und Reichtum zu erzwingen, war ich gezwungen, das Gute in mir zu unterdrücken und mich zur Sünde zu erniedrigen.«
Furchtbar bekennerische Worte dies, gewiß, und erschütternd in ihrem moralischen Pathos. Aber doch, Hand aufs Herz, hat es jemals irgend jemanden gegeben, der wirklichLeo Tolstoi, weil er im Krieg pflichtgemäß seine Batterie bediente oder als stark potenter Mann innerhalb seiner Junggesellenzeit sich geschlechtlich auslebte, auf Grund dieser Selbstanklagen »als einen niedrigen und sündigen Menschen« verachtet hat, als eine »Laus«, wie er sich selbst in fanatischer Erniedrigungslust bezeichnet? Drängt sich nicht eher der Verdacht auf, hier erfinde sich ein überreiztes Gewissen um jeden Preis Sünden aus einem Hochmut der Demut, hier wolle – ähnlich wie der Hausknecht im Raskolnikow jenen Mord sich zuerfindet – eine geständniswütige Seele gar nicht vorhandene Verbrechen als »das Kreuz auf sich nehmen«, um sich als Christ zu »beweisen«? Offenbart nicht gerade dieses Sichbeweisenwollen, dieses krampfige, pathetische, marktschreierische Sicherniedrigen Tolstois das Nichtvorhandensein oder Nochnichtvorhandensein einer gelassenen, ebenmäßig atmenden Demut in dieser erschütterten Seele und vielleicht sogar eine gefährlich verschobene Verkehrteitelkeit? Jedenfalls: demütig gebärdet sich diese Demut nicht, im Gegenteil, nichts Leidenschaftlicheres läßt sich denken als dieser Asketenkampf gegen die Leidenschaft: kaum erst einen kleinen, noch ungewissen Funken Glauben in der Seele, will der Ungeduldige sofort die ganze Menschheit damit entzünden, jenen germanischen Barbarenfürsten ähnlich, die, eben erst das Haupt vom Taufwasser genetzt, sofort die Axt nahmen, um ihre bislang heiligen Eichen zu fällen. Wenn Glauben ein Ruhen in Gott bedeutet, dann war dieser herrlich Ungeduldige niemals ein geduldig Gläubiger, dieser Glühende und Ungenügsame niemals ein Christ: nur wenn man grenzenlose Gier nach Religiosität schon Religion nennt, darf dieser Gottsucher, dieser ewig unberuhigte, unter den Gläubigen gelten.
Eben durch dieses nur halbe Gelingen und ungewisse Erreichen einer Überzeugung aber wächst die Krise Tolstois symbolisch über das Individualerlebnis hinaus, ewig denkwürdiges Beispiel, daß es auch dem willenskräftigsten Menschen nicht gegeben ist, die Urform seiner Natur ruckhaft zu verändern, das ihm eigentümliche Wesen durch einen Energieakt ins Gegenteil umzustülpen. Die zugewiesene Form unseres Lebens duldet Verbesserungen, Abschleifungen, Zuspitzungen, und wohl vermag ethische Leidenschaft das Sittliche, Moralische in uns dank bewußter und zäher Arbeitzu steigern, nie aber die Grundlinien unserer Charakterzeichnung einfach wegzuradieren und unser Fleisch und unsern
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