Drei Dichter ihres Lebens
er weiß es, ist diese derbe, bäurische Figur, diese Rotfülligkeit des Bluts bei ihm nur Attrappe, eine Falschmeldung des Fleisches. Unter diesem Koloß Mann flimmert und vibriert ein Nervenbündel subtilster, ja fast krankhafter Empfindlichkeit, als ein »monstre de sensibilité« haben ihn alle Ärzte bestaunt. Und eine solche Schmetterlingspsyche – Verhängnis! –, eingenäht in soviel Fülle und Fett: irgendein Nachtmahr muß in der Wiege Leib und Seele vertauscht haben, denn wie friert und zittert bei jeder Erregung die krankhaft überempfindliche Psyche unter ihrer grobschlächtigen Hülle. Ein offenes Fenster im Nebenraum, und schon rieseln scharfe Schauer über die feindurchäderte Haut, eine zufallende Tür, und sofort zucken die Nerven in wildem Riß, ein schlechter Geruch, und ihm wird schwindlig, die Nähe einer Frau, und er wird verworren, ängstlich oder aus Verkehrtangst grob und unanständig. Unverständlich diese Mischung! Wozu soviel Fleisch, soviel Fett, soviel Wanst, soviel plumpes fuhrmännisches Knochenwerk um ein so spinnfeines und verletzliches Gefühl,wozu ein dermaßen dumpfer, uninteressanter, klotziger Leib um eine so komplizierte und reizbare Seele?
Stendhal wendet sich vom Spiegel ab. Dies Exterieur ist unrettbar, er weiß es seit seiner Jugend. Da kann selbst ein solcher Zauberkünstler von Schneider nicht helfen, der ihm ein Mieder unter die Weste eingebaut hat, das den Hängebauch geschickt nach oben preßt, und famose Kniehosen aus Lyoner Seide fertigte, damit die lächerliche Kurzbeinigkeit verdeckt sei; nichts hilft auch das Haarmittel, das ein manneskräftiges Braun über die längst ergrauten Koteletten dunkelt, nichts die elegante Perücke, die den glatzigen Schädel schützt, nichts die goldbordierte Konsulatsuniform und die fein polierten, flimmernden Nägel. Diese Mittel und Mittelchen stützen und putzen nur ein wenig auf, sie verbergen das Fett und den Verfall, aber doch: keine Frau wird sich nach ihm umwenden auf den Boulevards, keine mit der ergriffenen Ekstase, wie Madame de Rénal seinem Julien oder Madame de Chasteller seinem Lucien Leuwen, ihm jemals in die Augen sehen. Nein, nie haben sie ihn beachtet, schon als jungen Leutnant nicht, und wie jetzt erst, da die Seele im Speck steckt und das Alter ihm die Stirne schrundet. Vorbei, verspielt! Mit solch einem Gesicht hat man kein Frauenglück, und es gibt kein anderes!
So bleibt nur eines: klug sein, geschmeidig, geistig-anziehend, interessant, die Aufmerksamkeit vom Gesicht ablenken nach innen, blenden und verführen durch Überraschung und Rede! »Les talents peuvent consoler de l'absence de la beauté«, Geschicklichkeit kann allenfalls die Schönheit ersetzen. Vom Geiste her muß man bei solch unglücklicher Physiognomie die Frauen packen, da man ihre Sinne ästhetisch nicht anzuwärmen vermag. Also melancholisch tun bei den Sentimentalen, zynisch bei den Frivolen und manchmal umgekehrt, immer wachsam sein und immer geistreich. »Amusez une femme et vous l'aurez.« Klug jede Schwäche fassen, Hitze vortäuschen, wenn man selbst kalt ist, und Kälte, wenn man glüht, durch den Wechsel verblüffen, durch Tricks verwirren, immer zeigen, daß man anders ist als die andern. Und vor allem keine Chance vergeuden, kein Fiasko scheuen, denn manchmal vergessen die Frauen eines Mannes Gesicht, küßte doch in sonderbarer Sommernacht selbst Titania einstmals einen Eselskopf.
Stendhal setzt den modischen Hut auf, nimmt die gelben Handschuhe und probiert ein kaltes, mokantes Lächeln in den Spiegel hinein. Ja, so muß er heute abend bei Madame de T. auftreten, ironisch, zynisch, frivol und steinkalt: es gilt zu frappieren, zu interessieren, zu blenden; das Wort wie eine blitzende Maske über diese ärgerliche Physiognomie zu stülpen. Nur stark verblüffen, gleich mit dem ersten Ruck die Aufmerksamkeit an sich reißen, das ist das beste, die innere Mutlosigkeit verbergen hinter lauten Gascognaden. Wie er die Treppe hinabsteigt, hat er sich schon ein knallendes Entrée ersonnen: er wird sich heute im Salon vom Diener anmelden lassen als Herr Kaufmann Cäsar Bombet und dann erst selbst eintreten, einen geschwätzig lautrednerischen Wollhändler mimen, niemanden zu Wort kommen lassen und von seinen imaginären Geschäften so lange brillant und frech erzählen, bis die lachende Neugier ihm restlos gehört und die Frauen sich an sein Gesicht gewöhnen. Dann noch ein Feuerwerk von Anekdoten, starken und lustigen, die ihnen die
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