Drei Dichter ihres Lebens
dabei verfügt Stendhal über keine andern Laboratorien als die eigene Beobachtung: sein einziges Instrument ist und bleibt eine schneidend harte, sehr spitz geschliffene Neugier. Er beobachtet, was er fühlt, und was er fühlt, das spricht er wiederum frank und frech aus, und, je kühner, desto besser, je intimer, desto leidenschaftlicher. Seine schlimmsten, seine verkrochensten Gefühle durchforscht er am liebsten: ich erinnere nur, wie oft und wie fanatisch er sich des Hasses gegen seinen Vater rühmt, wie er höhnisch berichtet, er habe sich einen ganzen Monat vergebens bemüht, bei seiner Todesnachricht Schmerz zu empfinden. Die peinlichsten Geständnisse seiner sexuellen Hemmungen, seine fortwährenden Mißerfolge bei Frauen, die Krisen seiner maßlosen Eitelkeit, das legt er so sachlich exakt und ausgezirkelt vor den Leser hin wie eine Generalstabskarte: so findet man bei Stendhal gewisse Mitteilungen privatester und subtilster Aufrichtigkeit klinisch kalt beschrieben, die vor ihm niemals ein Mensch die Kehle hochkommen ließ oder gar der Indiskretion des Drucks überantwortete. Das ist seine Tat: im durchsichtig klaren, egoistisch eiskalten Kristall seiner Intelligenz sind einige der kostbarsten Erkenntnisse der Seele für immer festgefrorenund der Nachwelt erhalten geblieben. Ohne diesen sonderbarsten Meister in der Verstellung wüßten wir weniger Wahrheit vom Weltall der Gefühle und seiner Unterwelt. Denn wer nur einmal gegen sich aufrichtig gewesen, war es immer. Wer sein eigenes Geheimnis erraten, der hat es für alle erkannt.
Bildnis
Tu es laid, mais tu as de la physiognomie. Der Onkel Gagnon zu dem jungen Henri Beyle
Dämmerung in der kleinen Mansarde der Rue Richelieu. Zwei Wachskerzen brennen auf dem Schreibtisch, seit Mittag schreibt Stendhal an seinem Roman. Jetzt wirft er die Feder mit einem Ruck weg: genug für heute! Nun sich auffrischen, ausgehen
, gut speisen, in Gesellschaft, an heiterem Gespräch, an Frauen sich beleben!
Er macht sich bereit, fährt in den Rock, rückt das Toupet zurecht: jetzt noch rasch einen Blick in den Spiegel! Er sieht sich an, und sofort schneidet eine sardonische Falte die Mundwinkel schief: nein, er gefällt sich nicht. Welch ein unfeines, grobes Bulldoggengesicht, rundlich
, rot, feistbürgerlich, ach, wie widerlich dick und knollig lagert die breitgenüsterte Nase quer inmitten dieser Provinzvisage! Zwar die Augen, sie wären so übel nicht, klein, schwarz, funkelnd, voll unruhigen Neugierlichts, aber sie sitzen zu tief und zu klein unter den dicken Brauen der schweren, quadratischen Stirn: als le Chinois, den Chineser, haben sie ihn um ihretwillen seinerzeit im Regiment schon verspottet. Was ist noch gut in diesem Gesicht? Stendhal blickt sich ingrimmig an. Nichts ist gut, nichts zart, geistlinig lebendig, alles schwer und vulgär, bitterböseste Bourgeoisie, und dabei der kugelige, in braunem Bart gerahmte Kopf vielleicht noch das Beste an diesem unbequemen Korpus; denn gleich kinnabwärts kröpft sich, zu knapp geraten, der Hals, und tiefer hinab wagt er lieber gar nicht zu schauen, denn er haßt seinen dummen bombastischen Wanst und die zu kurz gestreckten unschönen Beine, die derart mühsam diese ganze schwere Masse Henri Beyletragen, daß ihn die Schulkameraden immer den »wandelnden Turm« nannten. Noch immer sucht Stendhal im Spiegel nach irgendeinem Trost. Die Hände allenfalls, ja, die können
gelten, frauenhaft zart, sehr geschmeidig mit den spitzen, glattpolierten Fingernägeln, aus ihnen spricht noch ein wenig Geist und Adel, und auch die Haut, die mädchenempfindliche und linde, sie verriete zärtliche Gesinnung, ein wenig Noblesse und Feingefühl. Aber wer sieht, wer bemerkt an einem Manne solche feminine Kleinigkeiten? Frauen fragen immer nur nach Gesicht und Figur, und die sind, er weiß es fünfzig Jahre schon, unrettbar plebejisch. Einen Tapeziererkopf hat Augustin Filon seine Visage genannt und Monselet ihn als »Diplomaten mit einem Drogistengesicht« gekennzeichnet; aber selbst solche Begutachtung scheint ihm zu freundschaftlich, denn Stendhal urteilt jetzt selbst, verdrossen in das unbarmherzige Spiegelglas starrend: »Macellaio italiano«: Gesicht eines italienischen Fleischhackers.
Aber wäre er wenigstens, dieser fettleibige massive Körper, brutal und maskulin! – Es gibt ja Frauen
, die zu breiten Schultern Zutrauen haben und denen ein Kosak in mancher Stunde besser dient als ein Dandy. Doch niederträchtigerweise,
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