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Drei Dichter ihres Lebens

Drei Dichter ihres Lebens

Titel: Drei Dichter ihres Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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frechen Offizieren nicht ungern in die Augen und spielen mit Fächern und Blumen deutsames Spiel.
    In den schmalen Schatten gedrückt, sieht sehnsüchtig ein siebzehnjähriger Unteroffizier zu den eleganten Frauen hinüber. Ja, Henri Beyle ist plötzlich sous-off bei den Sechserdragonern geworden, ohne eine einzige Bataille mitgemacht zu haben; als Cousin des allmächtigen Daru erreicht man ja allerhand. Uber der Stirn weht und wedelt vom blanken Metall der schwarze Roßhaarschweif der französischen Dragoner, hinter seinem weißen Kavalleriemantel klirrt schreckhaft mächtig der große Säbel, an den Stulpen seiner Stiefel klingeln die Sporen: wahrhaftig, er sieht martialisch aus, der kleine dicke, feiste Junge von vorgestern.
    Eigentlich sollte er, statt hier am Korso herumzuschlendern und täglich das Pflaster mit dem Pallasch abzuklappern und die Frauen sehnsüchtig anzuschauen, bei seiner Kompagnie stecken und die Österreicher hinter den Mincio jagen helfen. Aber schon der Siebzehnjährige liebt das Vulgäre nicht, er hat bereits entdeckt, daß »höchst wenig Geist dazu nötig ist, um einen Säbelhieb zu dreschen«. Wenn man der Cousin des großen Daru ist, bleibt man lieber, statt groben Kommißdienst abzuschnurren, in der blitzblanken Etappe Mailand, denn im Biwak gibt es keine so schönen Frauen zubeschwören und vor allem keine Scala, die göttliche Scala mit ihren Opern Cimarosas, mit den sublimen Sängerinnen. Dort, und nicht in einem Zelt irgendwo in einem oberitalienischen Sumpfnest, schlägt Henri Beyle sein eigentliches Hauptquartier auf. Immer ist er der erste am Abend, wenn die Logen in den fünf Stockwerken der Scala sich allmählich erleuchten, die Damen eintreten »più che seminuda«, mehr als halbnackt unter der leichten Seide, und sich Uniformen glitzernd über ihre blanken Schultern beugen. Ach, wie sie schön sind, die italienischen Frauen, wie heiter und gefällig und wie beglückt sie es genießen, daß Bonaparte fünfzigtausend junge Burschen nach Italien gebracht hat zum Schmerz und zur Entlastung der Mailänder Ehemänner!
    Aber leider, noch immer hat keine von ihnen allen daran gedacht, unter diesen fünfzigtausend sich Henri Beyle aus Grenoble zu erwählen. Wie sollten sie es auch wissen, die üppige Angela Pietragrua, die rundliche Tuchhändlerstochter, die gern ihre weiße Büste vor den Gästen enthüllt und ihre Lippen an den Schnurrbärten der Offiziere wärmt, daß dieser kleine Rundkopf mit den funkelnden und eng gekniffenen schwarzen Augen – »il Cinese«, den Chineser nennt sie ihn spaßhaft und ein wenig gleichgültig – in sie verliebt ist, daß er von ihr, der doch gar nicht Hartherzigen, Tag und Nacht wie von einem unerreichbaren Idol träumt und sie, die dickliche Bürgergesponsin, durch seine romantische Liebe einmal unsterblich machen wird? Freilich, er kommt jeden Abend Pharao spielen mit den andern Offizieren, sitzt stumm und scheu in der Ecke und erblaßt, wenn sie zu ihm spricht. Aber hat er jemals ihre Hand gedrückt, leise das Knie an das ihre geschoben oder ihr jemals einen Brief geschrieben oder ein »mi piace« geflüstert? Andere Deutlichkeiten gewöhnt von französischen Dragoneroffizieren, beachtet die vollbusige Angela den kleinen Unteroffizier kaum, und so versäumt der Ungeschickte ihre Gunst, ohne zu ahnen, wie gern und willig sie ihre Liebe jedem Begehrlichen zuteilt. Denn trotz seinem großen Pallasch, seinen Stulpenstiefeln ist Henri Beyle noch immer so schüchtern wie in Paris und der timide Don Juan noch immer jungfräulich. Jeden Abend nimmt er sich vor, den großen Sturm zu wagen, er schreibt sich sorgfältig in sein Notizbuch die Lehren älterer Kameraden, wie man handgreiflich die Tugend einer Frau überwindet,aber kaum in der Nähe der geliebten, göttlichen Angela, wird der theoretische Casanova sofort kopfscheu, verwirrt sich und errötet wie ein Mädchen. Um ein ganzer Mann zu werden, beschließt er, endlich seine Jungfräulichkeit zu opfern. Irgendeine Mailänder Professionelle (»Ich habe ganz vergessen, wer und wie sie war«, schreibt er später in seine Aufzeichnungen) bietet sich ihm als Altar, aber leider erwidert sie seine Erstlingsgabe mit einer bedeutend unedleren, sie gibt dem Franzosen die Krankheit zurück, die angeblich die Leute des Connétable von Bourbon nach Italien gebracht und die seitdem die französische heißt. Und so opfert der Diener des Mars, der den linden Dienst der Venus suchte, noch jahrelang dem strengen

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