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Drei Dichter ihres Lebens

Drei Dichter ihres Lebens

Titel: Drei Dichter ihres Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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eigentümliche Gelächter. Madame de Tracy wird nervös: das ist gewiß wieder der abscheuliche Beyle, der den Damen Pfeffer serviert. Ein kluger, feinfühliger Mensch doch sonst, extravagant und amüsant, aber der Umgang mit Schauspielerinnen, mit dieser italienischen Madame Pasta vor allem, hat ihm die Manieren verdorben. Sie entschuldigt sich und trippelt hastig hinüber, etwas Anstand zu gebieten. Richtig, da steht er, ganz in den Schatten des Kamins geduckt, wohl um das Embonpoint zu verbergen, ein Glas Punsch in der Hand, und funkelt Anekdoten, bei denen ein Musketier erröten würde. Die Damen scheinen fluchtbereit, sie lachen und protestieren, bleiben aber doch, von dem famosen Erzähler gefaßt, immer wieder neugierig und angeregt zurück. Wie ein Silen sieht er aus, rot und feist, mit glitzernden Augen, gutmütig und klug; jetzt, da Madame de Tracy naht, bricht er hastig ab unter ihrem strengen Blick, und die Damen nutzen die gute Gelegenheit, lachend Reißaus zu nehmen.
    Bald verlöschen die Lichter, die Diener geleiten mit tropfenden Kronleuchtern die Gäste die Treppe hinab: drei, vier Wagen warten, die Damen steigen ein mit ihren Männern, Beyle bleibt allein und mißmutig zurück. Keine nimmt ihn mit, keine lädt ihn ein. Zum Anekdotenerzählen ist er noch, gut genug, sonst gilt er nichts mehr bei den Frauen. Die Gräfin Curial hat ihm den Laufpaß gegeben; eine Tänzerin zu halten wie einst, mangelt das Geld: man wird langsam alt. Mißmutig trottet er durch den Novemberregen seiner Hausung in der Rue Richelieu zu; was tut's, wenn die Kleider beschmutzt werden, noch ist der Schneider nicht bezahlt. Überhaupt, er seufzt tief, das Beste im Leben ist vorbei, man sollte eigentlich ein Ende machen. Unwirsch klettert er (auch das Atmen wird jetzt schon seinem Kurzhals manchmal schwer) die Treppe hinauf ins oberste Stockwerk, zündet das Licht an, blättert in Papieren und Rechnungen. Triste Bilanz! Aufgezehrt das Vermögen, die Bücher tragen nichts, von »Amour« sind jetzt nach Jahren glatt siebenundzwanzig Exemplare verkauft (»Man möchte es ein heiliges Buch nennen, weil kein Mensch daran zu rühren wagt«, hatte ihm gestern sein Verleger zynisch gesagt). So bleiben fünf FrankenRente am Tag, vielleicht viel für einen hübschen frischen Jungen, aber erbärmlich wenig für einen dickleibigen älteren Herrn, der die Frauen und die Freiheit liebt. Am besten, man machte Schluß. Henri Beyle nimmt einen Foliobogen und schreibt zum viertenmal in diesem melancholischen Monat sein Testament: »Ich Unterzeichneter vermache meinem Vetter Romain Colomb, was ich in meinem Hotel, 71, Rue Richelieu, besitze. Ich wünsche direkt auf den Friedhof übergeführt zu werden, die Kosten meines Begräbnisses sollen nicht mehr als dreißig Francs ausmachen.« Und als Nachschrift noch: »Ich bitte Romain Colomb um Verzeihung für alle Unannehmlichkeiten, die ich ihm bereite, und ich ersuche vor allem, nicht traurig zu sein wegen dieses unvermeidlichen Vorfalls.«
    »Wegen dieses unvermeidlichen Vorfalls« – morgen werden die Freunde die vorsichtige Phrase verstehen, wenn man sie herrufen wird und die Kugel statt im Armeerevolver zwischen den Gehirnknochen steckt. Aber glücklicherweise ist Henri Beyle heute müde, er wartet noch einen Tag mit dem Selbstmord, und am nächsten Morgen kommen die Freunde und heitern ihn auf. Beim Herumstreifen im Zimmer sieht einer ein weißes Folioblatt auf dem Tisch. »Julien« überschrieben. Was das bedeutet, fragt er neugierig; ach, er wollte einen Roman schreiben, antwortet Stendhal. Sie sind sehr begeistert, die Freunde, sprechen dem Melancholischen Mut zu, und wirklich, er beginnt mit dem Werke. Der Titel »Julien« wird gestrichen und ersetzt durch einen, der später unsterblich wird, durch »Le Rouge et le Noir«. Tatsächlich, seit jenem Tag ist es mit Henri Beyle zu Ende, ein anderer hat begonnen für ewige Dauer: er heißt Stendhal.
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    1831, Civitavecchia. Neue Verwandlung.
    Kanonenboote geben feierlich eine Salve, Wimpel wehen eilfertig Salut, da jetzt ein dickleibiger Herr in der pomphaften französischen Diplomatenuniform aus dem Dampfer steigt. Respekt! – dieser Herr, gestickte Weste, galonierte Hose, ist der Konsul von Frankreich, Herr Henri Beyle. Wieder einmal hat ihm ein Umsturz in den Sattel geholfen, wie einstmals der Krieg, jetzt die Julirevolution. Nun lohnt es sich, Liberaler gewesen zu sein, unentwegte Opposition getrieben zu haben gegen die dummen Bourbonen:

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