Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drei Dichter ihres Lebens

Drei Dichter ihres Lebens

Titel: Drei Dichter ihres Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
Vom Netzwerk:
ihr nichts. Nun beginnt er zu erinnern, an Joinville und die andern Kameraden. Endlich erhellt sich das geliebte, tausendmal geträumte Gesicht zu einem Lächeln. »Ah, ah, Ella è il cinese« (»Ach, Sie sind der Chineser«) – der verächtliche Spitzname ist alles, was Angela Pietragrua von ihrem romantischen Liebhaber noch weiß. Allerdings, nun ist Henri Beyle nicht siebzehn und kein Brackenburg mehr: kühn und gierig gesteht er seine Leidenschaft von damals und heute. Sie erstaunt: »Ja, warum haben Sie mir das nicht gesagt?« Sie hätte ihm doch gern die Kleinigkeit gewährt, die einer großmütigen Frau so wenig kostet, aber glücklicherweise bleibt dazu noch Zeit, und bald kann der Romantiker, elf Jahre zu spät freilich, in seine Hosenträger das Datum jenes Liebessiegs über Angela Pietragrua, 21. September, halb zwölf Uhr mittags, einsticken lassen.
    Dann aber haben sie ihn noch einmal nach Paris zurückgetrommelt. Noch einmal, zum letztenmal, 1814, muß er für diesen kriegswütigen Korsen Provinzen verwalten, das Vaterland verteidigen, aber glücklicherweise – ja glücklicherweise, denn der schlechte Franzose Henri Beyle ist todfroh, daß die Kriegsführerei, und sei es auch mit einer Niederlage, glücklich ein Ende hat – rücken die drei Kaiser in Paris ein. Jetzt kann er endlich und endgültig nach Italien fahren, für immer frei von jedem Amt und Vaterland. Herrliche Jahre, einzig der Musik hingegeben, den Frauen, dem Gespräch, dem Schreiben, der Kunst. Jahre mit Geliebten, freilich mit solchen, die einen schändlich betrügen, wie die allzu freigebige Angela, oder aus Keuschheit ablehnen, wie die schöne Mathilde. Aber doch Jahre, in denen man immer mehr sein eigenes Selbst fühlt und erkennt, an jedem Abend in der Scala sich die Seele neu in Musik reinbadet, manchmal ein Gespräch genießt mit dem edelsten Dichter der Zeit, Herrn von Byron, und von Neapel bis Ravenna alle Schönheit des Landes, allen Reichtum der kunstgeistig Gebildeten, in sich einsammeln kann. Niemand hörig, niemand im Wege, sein eigener Herr und baldsein eigener Meister: unvergleichliche Jahre der Freiheit! »Evviva la Libertà!«
    +++
    1821, Paris. Evviva la Libertà? Nein, es tut nicht mehr gut, in Italien von der Freiheit zu reden, die österreichischen Herren und Behörden verschnupfen sich gefährlich bei diesem Wort. Man soll auch keine Bücher schreiben, denn selbst, wenn sie blank plagiiert sind, wie die »Briefe über Haydn«, oder zu drei Vierteln andern Autoren abgeschrieben, wie die »Geschichte der italienischen Malerei« und »Rom, Florenz, Neapel«, so streut man doch, ohne es zu wissen, zwischen die Blätter allerhand Salz und Pfeffer, die die österreichische Obrigkeit in der Nase kitzeln, und bald wird der gestrenge Zensurbeamte Wabruschek (man könnte keinen schöneren Namen erfinden, aber so heißt er wirklich, weiß Gott!) dem Polizeiminister Sedlnitzky in Wien »unzählige tadelnswerte Stellen« darin reportieren. Derart kommt man, Freigeist und Freizügler, leicht in Gefahr, von den Österreichern für einen Karbonaro genommen zu werden, von den Italienern für einen Spion – also besser, man macht sich, wieder um eine Illusion ärmer, auf die Sohlen. Und ferner: für Freiheit ist noch eines nötig, nämlich Geld und dieser Bastard von Vater (Beyle tituliert ihn selten höflicher) hat jetzt endgültig erwiesen, was für ein dummer Narr er gewesen, indem er nicht einmal ein kleines, bescheidenes Rentchen seinem Rabensohn hinterließ. Wohin also? In Grenoble erstickt man, mit den schönen, bequemen Spazierfahrten im Kriegsnachtrab ist es leider vorbei, seit die bourbonischen Birnenköpfe feist und faul auf den Münzen kleben. Also zurück nach Paris, zurück in die Mansarde und nun zur Arbeit gemacht, was bisher bloß Vergnügen und dilettierendes Behagen war: Bücherschreiben, Bücher, Bücher.
    +++
    1828, Paris. Salon bei Madame de Tracy, Gattin des Philosophen.
    Mitternacht. Die Kerzen fast niedergebrannt. Die Herren spielen Whist, Madame de Tracy, eine ältere Dame, plaudert auf dem Sofa mit einer Marquise und ihrer Freundin. Aber sie hört nicht recht hinein ins Gespräch, immer wieder spitzt sie unruhig das Ohr. Von dort rückwärts, aus dem andern Zimmer beim Kamin, kommt allerhand verdächtiges Geräusch,ein scharfes Frauenlachen und das sonor dunkle Grölen eines Herren, dann wieder empörte Ausrufe »Mais non, c'est trop«, dann wieder ausbrechend und rasch zurückgerissen dieses

Weitere Kostenlose Bücher