Drei Dichter ihres Lebens
dessen seit drei Jahren vergnüglich in den Pariser Theatern herumsitzt. Der Herr General wundert sich erst, dann empört er sich über den faulen Beamten, der sich leben läßt, statt Akten zu kümmeln. Sofort poltert ein strengesEdikt, ohne Aufschub abzureisen. Henri Beyle zieht mürrisch die Uniform an und den Dichter Stendhal aus: müde, unwillig muß in der brennenden Sommerhitze der Vierundfünfzigjährige wieder hinab ins Exil; und er fühlt es: zum letztenmal.
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1841, Paris, 22. März.
Ein umfänglicher, schwerleibiger Mann schleppt sich mühsam über den geliebten Boulevard. Aber wo ist die gute Zeit, da er hier noch nach Frauen Ausschau hielt, kokett wie ein Dandy den zierlichen Stock in der Hand pirouettierend: jetzt stützt sich der zitternde Arm bei jedem Schritt auf das feste Holz. Wie ist er alt geworden, Stendhal, im letzten Jahre, die früher funkelnden Augen liegen schlaff unter schweren und bläulich verschatteten Lidern, Nervenrisse zucken quer um die Lippen. Vor ein paar Monaten hat ihn zum erstenmal der Schlag getroffen, grimmige Rückerinnerung an jenes erste Liebesgeschenk in Mailand; und sie haben ihn zur Ader gelassen, mit Salben und Mixturen gequält, und schließlich hat das Ministerium die Rückkehr von Civitavecchia doch dem Kranken bewilligt. Aber was hilft jetzt Paris, was der begeisterte Aufsatz Balzacs über die »Chartreuse de Parme«, was der zaghaft erste Knospen ansetzende Ruhm einem Mann, den schon »einmal das Nichts gestreift«, an dem der Tod bereits seine Knochenfinger probiert. Müde schlurft der triste Schatten weiter zu seiner Wohnung, kaum aufblickend zu den flinken, funkelnden Equipagen, den müßig schwätzenden Spaziergängern, den raschelnden Kokotten – ein langsam sich fortschiebender schwarzer Fleck Traurigkeit im flirrenden Lichterspiel der abendlich überfüllten Straße.
Plötzlich ein Auflauf, neugieriges Gedränge: der dicke Herr ist knapp vor der Börse zusammengebrochen und liegt nun da, die Augen starr vorgequollen, blau das Gesicht: der zweite, der tödliche Schlag hat ihn gerührt. Man reißt dem schwach Röchelnden den würgenden Kragen ab, trägt ihn in die Pharmazie und dann hinauf in sein kleines Hotelzimmer, das übersät ist mit zahllosen Papieren, Notizen, angefangenen Werken und Tagebuchheften. Und in einem von ihnen steht das sonderbar vorausbewußte Wort: »Ich finde nichts Lächerliches dabei, auf der Straße zu sterben, insofern man es nicht mit Absicht tut.«
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1842. Die Kiste.
Eine riesige Holzkiste holpert, billiges Frachtgut, von Civitavecchia quer durch Italien nach Frankreich. Man schleppt sie zu Romain Colomb, Stendhals Vetter und Testamentsvollstrecker, der aus Pietät (denn wer kümmert sich noch um den Verstorbenen, dem die Zeitungen gerade sechs Zeilen Nekrolog zusparten!) eine Gesamtausgabe der Werke dieses Sonderlings herausgeben möchte. Er läßt die Kiste aufhämmern – o Gott, was für Mengen Papier und wie kraus beschrieben mit Chiffren und Geheimzeichen, welcher Wust eines gelangweilten Schreibmenschen! Ein paar der bequemsten und bestgeschriebenen Arbeiten fischt er heraus und kopiert sie, dann ermüdet selbst dieser Getreueste. Auf den Roman »Lucien Leuwen« schreibt er ein resigniertes »Rien à faire«: »nichts damit anzufangen« auch die Selbstbiographie, der »Henri Brulard«, wird als untauglich zurückgestellt, und dabei bleibt es jahrzehntelang. Was nun anfangen mit dem ganzen »fatras«, mit diesem unbrauchbaren Wust, diesem Zettelkram? Colomb packt alles wieder ein in die Kiste und sendet sie zu Crozet, Stendhals Jugendfreund, Crozet schickt sie wieder hinüber in die Bibliothek von Grenoble zur letzten Ruhestatt. Dort werden, gemäß uraltem Bibliotheksbrauch, Zettel mit Zahlen auf jeden Faszikel geklebt, kräftig gestempelt und registriert: Requiescant in pace! Sechzig Foliobände, das Lebenswerk und selbstgestaltete Leben Stendhals, stehen, amtlich versargt, nun in der großen Totenkammer der Bücher und können unbehelligt Staub ansetzen. Denn vier Jahrzehnte fällt es niemand ein, sich die Finger an den schlafenden Folianten zu beschmutzen.
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1888, Paris, November.
Das Volk vermehrt sich, die Stadt wuchtet ins Weite, Paris zählt bereits acht Millionen Beine, die aber nicht immer laufen wollen: so plant die Omnibusgesellschaft eine neue Linie nach dem Montmartre. Ein ärgerliches Hindernis liegt leider quer im Wege, der Cimetière, der Montmartrefriedhof; nun, die Technik weiß Rat wider
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