Drei Dichter ihres Lebens
dankemsiger Frauenfürsprache ist man sofort zum Konsul ernannt worden im geliebten Süden, eigentlich in Triest, aber leider hat Herr von Metternich dort den Verfasser ärgerlicher Bücher nicht für wünschenswert erklärt und das Visum verweigert. So hat man, weniger erfreulich, in Civitavecchia Frankreich zu vertreten, aber immerhin, es ist Italien, und man bekommt fünfzehntausend Franken Gehalt.
Muß man sich schämen, nicht gleich zu wissen, wo Civitavecchia auf der Landkarte liegt? Durchaus nicht: von allen italienischen Städten wohl das erbärmlichste Nest, ein kalkweißer böser Brutkessel, in dem afrikanische Hitze ihr Fieber kocht, ein enger versandeter Hafen aus altrömischen Segelschiffstagen, eine ausgemergelte Stadt, öde, langweilig und leer, »man krepiert vor Langeweile«. Am besten gefällt Henri Beyle an dieser Deportiertenstation die Landstraße nach Rom, weil sie nur siebzehn Meilen lang ist, und Herr Beyle entschließt sich sofort, sie häufiger zu nützen als seine Würden. Eigentlich sollte er arbeiten, Berichte felbern, Diplomatie treiben, auf seinem Posten sitzen, aber die Esel im Auswärtigen Amt lesen seine Exposés ja gar nicht, wozu Geist an diese Sitzkünstler verschwenden – so pelzt man lieber alle Akten dem Schuft Lysimachus Caftangliu Tavernier auf, seinem Unterbeamten, einem bösartigen Biest, das ihn haßt und dem er die Ehrenlegion verschaffen muß, damit der Lump über seine häufigen Absenzen das Maul hält. Denn auch hier nimmt Henri Beyle seinen Dienst lieber leicht: einen Staat, der einen Dichter in so abscheuliche Sümpfe setzt, zu betrügen, scheint ihm Ehrenpflicht für einen ehrlichen Egoisten; tut man nicht wirklich besser, mit klugen Menschen in Rom die Galerien zu besehen, unter allerlei Vorwänden nach Paris zu rasseln, als hier langsam und sicher zu verblöden? Kann man denn immer zu dem einen Antiquar, diesem Herrn Bucci, gehen und immer mit denselben öden Halbadeligen schwätzen? Nein, da spricht man lieber mit sich selbst. Man kauft sich aus alten Bibliotheken ein paar Bände Chroniken und schreibt die schönsten als Novellen heraus, man erzählt sich mit fünfzig Jahren, die man nun alt geworden ist, wie man in der Seele jung geblieben. Ja, das ist das Rechte: um die Zeit zu vergessen, blickt man in sich selbst zurück, und so fern scheint dem wohlbeleibten Konsul der schüchterne Knabe von einst, den er schildert, daß er imSchreiben glaubt, »Entdeckungen über einen Anderen zu machen«. So schreibt Henri Beyle, alias Stendhal, seine Jugend, schreibt sie in Chiffren, damit niemand ahne, wer dieser H. B., dieser Henri Brulard gewesen sei, in dicke Hefte hinein und vergißt sich selbst, den alle vergessen haben, in dem tröstlich-trügerischen Kunstspiel der Selbstverjüngung.
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1836 bis 1839, Paris.
Noch einmal – wunderbar! – Auferstehung, noch einmal Rückkehr ins Licht. Gott segne die Frauen, alles Gute kommt von ihnen – sie haben so lange in den famosen Comte de Molé, der nun Minister geworden ist, hineingeschmeichelt, bis er beliebt hat, die Augen über das staatsfeindliche Faktum zu schließen, daß Herr Henri Beyle, der doch eigentlich Konsul in Civitavecchia ist, seinen dreiwöchigen Urlaub ganz frech und still auf drei Jahre gedehnt hat und nicht daran denkt, auf seinen Posten zurückzukehren. Ja, drei Jahre sitzt der Konsul statt in seinen Sümpfen behaglich in Paris, läßt unten den griechischen Gauner statt seiner schuften und hier sich sein Gehalt auszahlen, er hat Zeit und gute Laune, kann wieder in Gesellschaft gehen, noch einmal, sehr schüchtern schon, eine Liebschaft versuchen. Er kann tun, was ihm beliebt, und vor allem, was ihm nun das Schönste im Leben scheint: in seinem Hotelzimmer auf und ab gehen und einen Roman diktieren, »Die Kartause von Parma«. Denn mit einem fetten Staatsgehalt ohne Dienst kann man sich den Luxus leisten, gegen den Strich zu schreiben, einen Roman ohne Zuckerwerk und Resedenduft, denn man ist ja endlich frei. Und es gibt keinen andern Himmel auf Erden für Henri Beyle als die Freiheit.
Aber dieser Himmel kracht bald ein. Der wackere und nachsichtige Minister Domte de Molé, sein Protektor – es wäre Zeit, ihm ein Denkmal zu errichten! –, wird gestürzt, ein neuer Pharao kommt ins Auswärtige Amt, ein Soldatenmarschall Soult, der von einem Stendhal nichts weiß, nur einen Herrn Konsul Henri Beyle in der Rangliste findet, der Frankreich im Kirchenstaat zu vertreten bezahlt wird und statt
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