Drei Dichter ihres Lebens
mehr bleibt von ihm erhalten.
Der Künstler
A vrai dire, je ne suis moins que sûr d'avoir quelque talent pour me faire lire. Je trouve quelquefois beaucoup de plaisir à écrire. Voilà tout. Stendhal an Balzac
An nichts gibt Stendhal, der eifersüchtigste Selbstbewahrer der Literatur, sich vollkommen hin, keinem Menschen, keinem Beruf, keinem Amt. Und wenn er Bücher, Romane, Novellen, psychologische Werke schafft, so schreibt er einzig sich in diese Bücher hinein: auch diese Leidenschaft dient ausschließlich seiner Eigenlust. Stendhal, der in seinem Nachruf als größte Leistung seines Lebens rühmt, »nie etwas getan zu haben, was ihm nicht Vergnügen machte«, war Künstler nur genau so lange, wie dieses Metier ihm Anregung bot, er dient der Kunst nur insoweit, wie sie seinem letzten Zwecke dient: seinem »diletto«, seinem Behagen, seiner Selbstfreude. Es irren also alle jene gröblich, die, weil Stendhal der Welt inzwischen als Dichter wichtig geworden, bei ihm selbst ein ähnliches Wichtignehmen seiner Kunst vermuten: mein Gott, wie hätte dieser Unabhängigkeitsfanatiker sich entrüstet, als einer vom dichterischen Clan, als Berufsschriftsteller zu gelten; und nur vollkommen eigenmächtig und in absichtlicher Entstellung von Stendhals Letztem Willen hat sein Testamentsvollstrecker diese literarische Überwertung in Stein gemeißelt. »Scrisse, amò, visse«, hämmerte er in den Marmor, indes das Testament
ausdrücklich andere Reihenfolge verfügte: »visse, scrisse, amò«, denn Stendhal, seinem Wahlspruch getreu, hatte mit dieser Reihenfolge verewigtwissen wollen, daß er das Leben dem Schreiben voransetzte; ihn dünkte Genießen wichtiger als Schaffen und die ganze Schriftstellerei nichts als eine amüsante Komplementärfunktion seiner Selbstentfaltung, irgendeines von den vielen tonischen Mitteln gegen die Langeweile. Man kennt ihn schlecht, wenn man nicht erkennt: Literatur war diesem passionierten Lebensgenießer nur eine gelegentliche, keineswegs die entscheidende Ausdrucksform seiner Persönlichkeit.
Freilich, als junger Mensch, frisch angelangt in Paris, idealisch tumb, hatte auch er einmal Dichter werden wollen, natürlich ein berühmter Dichter, aber welcher Siebzehnjährige will das nicht? Er bosselt damals ein paar philosophische Aufsätze, schreibt an einer nie vollendeten Komödie in Versen; dann vergißt er vierzehn Jahre lang vollkommen die Literatur, sitzt im Sattel oder am Schreibtisch, promeniert auf den Boulevards, hofiert melancholisch vergebens geliebte Frauen und kümmert sich bei weitem mehr um Malerei und Musik als um die Schreiberei. 1814, in einem Augenblick der Geldknappheit, ärgerlich, daß er sogar seine Pferde verkaufen muß, felbert er hastig unter fremdem Namen ein Buch hin: »Das Leben Haydns« oder vielmehr, er stiehlt den Text frech seinem italienischen Verfasser, dem armen Carpani, der später Zeter und Mordio schreit gegen diesen unbekannten Herrn Bombet, von dem er sich dermaßen überraschend geplündert sieht. Dann klittert er wieder eine Geschichte der italienischen Malerei, gleichfalls aus andern Büchern, zusammen, streut ein paar Anekdoten hinein, und teils weil es ihm Geld bringt, teils weil er daran Spaß findet, die Feder laufen zu lassen und die Welt mit allerhand Pseudonymen zu narren, improvisiert er heute als Kunsthistoriker, morgen als Nationalökonom (»Un complot contre les industrielles«), übermorgen als Literarästhetiker (»Racine et Shakespeare«) oder als Psychologe (»De l'amour«) ein paar Bücher. Schreiben, so erkennt er bei diesen zufälligen Versuchen bald, ist gar nicht so schwer. Wenn man klug ist und einem die Gedanken flink an die Lippe schießen, besteht zwischen Schreiben und Konversieren eigentlich wenig Unterschied, noch weniger zwischen Reden
und Diktieren (denn die Form läßt Stendhal dermaßen gleichgültig, daß er seine Bücher entweder mit Bleistift hinschmiert oder locker aus dem Handgelenk diktiert) – er empfindet also Literatur bestenfalls als ein nettesSonderlingsamüsement. Schon daß er sich niemals bemüßigt fühlt
, seinen wahren Namen Henri Beyle über seinen Produkten figurieren zu lassen, beweist zur Genüge seine Gleichgültigkeit gegen alle Ambition.
Erst mit vierzig Jahren setzt er sich häufiger zur Arbeit hin. Warum? Weil er ehrgeiziger geworden ist, leidenschaftlicher, kunstverliebter? Nein, durchaus nicht, nur weil man korpulenter wird, weil man – leider! – weniger Erfolg hat bei den
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