Drei Dichter ihres Lebens
Frauen, bedeutend weniger Geld und bedeutend mehr überflüssige, unausfüllbare Zeit; kurzum, weil man Surrogate braucht: »Pour se désennuyer«, um sich nicht zu langweilen. Wie die Perücke das einstmals dichte und wirrige Haar, so ersetzt jetzt für Stendhal der Roman das Leben, er kompensiert die Verminderung der realen Abenteuer durch allerhand gestaltete Träumereien; schließlich findet er das Schreiben sogar amüsant und sich selbst einen angenehmeren und geistvolleren Gesprächspartner als alle Plattredner in den Salons. Ja, Romaneschreiben ist wirklich, vorausgesetzt, daß man es nicht allzu ernst nimmt und sich nicht die Finger mit Schweiß und Ehrgeiz schmutzt wie diese Pariser Literaten, ein sehr munteres, sauberes, nobles Vergnügen, würdig eines Egotisten, ein elegant unverbindliches Geistspiel, an dem der alternde Mann mehr und mehr Reiz findet. Sehr mühevoll ist die Sache ja nicht: man diktiert einen Roman in drei Monaten ohne Konzept irgendeinem billigen Kopisten in die Feder, vergeudet also nicht allzuviel Mühe und Zeit. Außerdem kann man sich dabei den Spaß machen, seinen Feinden heimlich Spottschweife anzubinden, die Pöbelhaftigkeit der Welt zu ironisieren; man kann hinter einer Maske, ohne sich zu verraten, die zartesten Regungen seiner Seele beichten, indem man sie fremden Jünglingen zuschiebt. Man kann leidenschaftlich sein, ohne sich zu kompromittieren, und als alter Mann wie ein Knabe träumen, ohne sich selbst zu beschämen. So wird Stendhals Schaffen zum Genießen und allmählich des gelernten Genießers privateste und verborgenste Selbstentzückung. Aber niemals hat Stendhal das Empfinden, große Kunst oder gar Literaturgeschichte zu machen. »Je parlais des choses que j'adore et je n'avais jamais pensé à l'art de faire un roman« gesteht er offen zu Balzac; er denkt nicht an die Form, an die Kritik, an das Publikum, die Zeitungen und die Ewigkeit, er denkt als tadelloser Egotist imSchreiben einzig an sich und sein Pläsier. Und schließlich, ganz, ganz spät, gegen die Fünfzig, macht er eine sonderbare Entdeckung: man kann mit Büchern sogar Geld verdienen. Und das spornt sein Behagen: denn immer bleibt Henri Beyles äußerstes Ideal Einsamkeit und Unabhängigkeit.
Allerdings: die Bücher haben keinen rechten Erfolg, der Magen des Publikums gewöhnt sich nicht an so trocken zubereitete, ohne Öl und Sentimentalität geschmalzte Kost, und er muß sich zu den eigenen Gestalten noch ein Publikum ausdenken, ganz rückwärts wo, in einem anderen Jahrhundert, eine Elite, die »happy few«, eine Generation von 1890 oder 1900. Aber die zeitgenössische Gleichgültigkeit kränkt Stendhal nicht sehr ernstlich: im letzten sind diese Bücher ja nur Briefe, an ihn selbst adressiert. »Que m'importent les autres?«, Stendhal schreibt nur für sich. Der alternde Epikureer hat sich eine neue, letzte und zarteste Lust erfunden: bei zwei Kerzen an seinem Holztisch oben in der Mansarde zu schreiben oder zu diktieren, und dieses intime, ganz innerliche Selbstgespräch mit seiner Seele und seinen Gedanken wird ihm am Ende seines Lebens wichtiger als alle Frauen und Freuden, als das Café Foy, als die Diskussionen in Salons, selbst als die Musik. Der Genuß in der Einsamkeit und die Einsamkeit im Genuß, dieses sein erstes und ältestes Urideal, entdeckt sich der Fünfzigjährige endlich in der Kunst.
Eine späte Freude allerdings, eine abendrötliche und schon umwölkt von Resignation. Denn Stendhals Dichtung setzt zu spät ein, um sein Leben noch schöpferisch zu bestimmen, sie beendet, sie musikalisiert nur sein langsames Sterben. Mit dreiundvierzig Jahren beginnt Stendhal seinen ersten Roman »Le Rouge et le Noir« (ein früherer »Armance« zählt nicht ernstlich mit), mit fünfzig Jahren den »Lucien Leuwen«, mit vierundfünfzig den dritten, die »Chartreuse de Parme«. Drei Romane erschöpfen seine literarische Leistung, drei Romane, die, vom motorischen Zentrum her gesehen, nur einer sind, drei Variationen eines und desselben Ur- und Elementarerlebnisses: der Seelengeschichte von Henry Beyles Jugend, die der Alternde nicht in sich absterben lassen, sondern immer wieder erneuern will. Alle drei könnten sie den Titel seines Nachfahren und Verächters Flaubert führen: »L'éducation sentimentale« – »Die Erziehung des Gefühls«.
Denn alle diese drei Jünglinge, Julien, der mißhandelteBauernsohn, Fabrizio, der verzärtelte Marquis, und Lucien Leuwen, der Bankiersohn, treten mit der
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