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Drei Dichter ihres Lebens

Drei Dichter ihres Lebens

Titel: Drei Dichter ihres Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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entgegenzustemmen. Ganz seltene und wohlgeprobte Kräfte müssen schon in einem Individuum zusammenwirken, damit es sich seiner Eigenheit erwehre: eine sichere Weltkenntnis, eine rapide Scharfsichtigkeit des Geistes, eine souveräne Verachtung aller Rudel und Rotten, eine kühne und amoralische Unbedenklichkeit und vor allem Mut, dreimal Mut, eine unerschütterliche, fest im Sattel sitzende Courage zur eigenen Überzeugung.
    Diesen Mut hat Stendhal gehabt, der Egotist aller Egotisten: es tut der Seele wohl, zu sehen, wie kühn er vorprellt gegen seine Zeit, einer gegen alle, wie er mit flirrenden Finten und brüsken Attacken ohne andern Panzer als seinen blitzenden Hochmut sich durch ein halbes Jahrhundert schlägt, oft verletzt, aus vielen heimlichen Wunden blutend, aber aufrecht bis zum letzten Augenblick, und ohne ein Zollbreit Eigenheit und Eigenwilligkeit preiszugeben. Opposition ist sein Element, Selbständigkeit seine Wollust. Man lese nur an hundert Beispielen nach, wie verwegen, wie frech dieser unentwegte Frondeur der allgemeinen Meinung Paroli bietet, wie kühn er sie herausfordert. In einer Epoche, da alles von Schlachten schwärmt, da man in Frankreich, wie er sagt, »den Begriff des Heldenmuts unverweigerlich mit dem Tambourmajor verbindet«, schildert er Waterloo als ein unübersichtliches Durcheinander chaotischer Kräfte; er bekennt hemmungslos ein, daß er sich während des Russischen Feldzuges (den die Historiographen als Epopöe der Weltgeschichte preisen) persönlich gräßlich gelangweilt habe. Er scheut sich nicht, festzustellen, daß ihm eine Reise nach Italien, um seine Geliebte wiederzusehen, wichtiger war als das Schicksal seines Vaterlandes, und eine Arie Mozarts interessanter alseine politische Krise. »II se fiche d'être conquis«, er schert sich den Teufel darum, daß Frankreich von fremden Truppen besetzt wird, denn, längst Wahleuropäer und Kosmopolit, kümmert er sich nicht eine Minute lang um die tollen Pirouetten des Kriegsglücks, um die modischen Meinungen, um Patriotismen (»le ridicule le plus sôt«) und Nationalismen, sondern einzig um die Verwahrheitlichung und Verwirklichung seiner geistigen Natur. Und dies sein Persönliches betont er so selbstherrlich und zärtlich inmitten der furchtbaren Lawinenstürze der Weltgeschichte, daß man, seine Tagebücher lesend, manchmal bezweifelt, ob er tatsächlich mit seiner Person bei all diesen historischen Kalendertagen Zeuge gewesen. Aber in gewissem Sinn war auch Stendhal gar nicht dabei, selbst wenn er quer durch den Krieg ritt oder im Amtssessel saß, er war immer nur bei sich selbst; niemals fühlte er sich aus Mittuerei, aus Mitdenkerei zur seelischen Teilnahme an Geschehnissen verpflichtet, die ihn seelisch nicht bewegten, und ebenso wie Goethe in seinen Annalen an welthistorischen Tagen nur die Lektüre aus dem Chinesischen, so notiert Stendhal in den welterschütterndsten Stunden seines Zeitalters einzig seine privatesten Wichtigkeiten: die Geschichte seiner Zeit und die seine haben gleichsam ein anderes Alphabet und andere Vokabeln. Darum wird Stendhal ein ebenso unzuverlässiger Zeuge für seine Umwelt wie ein unübertrefflicher für seine Eigenwelt; für ihn, den vollkommenen, den preiswürdigsten und unübertrefflichen Egotisten reduziert sich alles Geschehnis ausschließlich und einzig auf den Affekt, den das einmalige und unwiederbringliche Individuum Stendhal-Beyle vom Weltlauf erfährt und erleidet; nie vielleicht hat ein Künstler für sein Ich beharrlicher, radikaler und fanatischer gelebt und es kunstvoller zum Eigen-Ich entwickelt als dieser heroische Selbstling und überzeugte Egotist.
    Aber gerade durch diese eifersüchtige Abschließung, dies sorgfältige Abgekorkte und hermetisch Verstöpselte ist die Essenz Stendhal so unvermindert und unvermischt mit ihrem eigennatürlichen Arom uns erhalten geblieben. In ihm, der nicht angefärbt ist vom Farbstoff seiner Epoche, können wir den Menschen par excellence, das ewige Individuum in einem raren und subtilen Exemplar psychologisch vollkommen losgelöst beobachten. Tatsächlich hat aus seinem ganzenfranzösischen Jahrhundert kein Werk und Charakter sich so formelhaft frisch, so neu und unberührt erhalten; weil er die Zeit von sich abwehrte, wirken seine Werke zeitlos, weil er nur sein innerstes Leben lebte, wirkt er so lebendig. Je mehr ein Mensch seiner Zeit lebt, um so mehr stirbt er mit ihr. Je mehr ein Mensch in sich von seinem wahren Wesen verhält, um so

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