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Drei Dichter ihres Lebens

Drei Dichter ihres Lebens

Titel: Drei Dichter ihres Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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immer bloß heilig-nüchtern, durchsichtig und unberauschend wie Wasser – in alle Tiefen kann man dank ihrer wunderbaren Durchsichtigkeit hinabblicken, aber dies Erkennen tränkt niemals die Seele mit voller Entrückung und Entzückung. Sie macht ernst und nachdenklich wie Wissenschaft mit ihrem steinernen Licht, mit ihrer bohrenden Sachlichkeit, aber sie macht nicht glücklich, die Kunst Tolstois.
    Wie aber hat er selbst, der Wissendste aller, dies Gnadenlose und Ernüchternde seines strengen Augenwerks empfunden, einer Kunst ohne den vergütigenden Goldglanz des Traums, ohne die Gnade der Musik! Und im tiefsten hat er sie niemals geliebt, weil sie weder ihm noch den andern einen beglückenden, bejahenden Sinn des Lebens zu schenken wußte. Denn wie furchtbar hoffnungslos gebärdet sich das ganze Dasein vor dieser unbarmherzigen Pupille: die Seele ein zuckender kleiner Körpermechanismus inmitten der umhüllenden Raumstille des Todes, die Geschichte ein sinnlosesChaos zufallsmäßig fallender Fakten, der fleischerne Mensch ein wandelndes Skelett, für kurze Frist nur in die warme Hülle des Lebens gekleidet, und dies ganze unerklärbar ordnungslose Getriebe zwecklos wie laufendes Wasser oder welkendes Laub. Ist es da wirklich so unverständlich, daß nach dreißig Jahren Schattenbildens Tolstoi plötzlich von seiner Kunst sich abwendet? Daß er sich sehnt nach einer Auswirkung seines Wesens, die jene Schwere entkettet und andern das Leben erleichtert, nach einer Kunst, »die in den Menschen höhere und bessere Gefühle erweckt«? Daß auch er einmal an die silberne Lyra der Hoffnung rühren will, die schon bei leisester Schwingung in der Brust der Menschheit gläubig zu tönen beginnt, daß ihn Heimweh faßt nach einer Kunst, die löst, erlöst von dem dumpfen Druck aller Irdischkeit? Aber vergebens! Die grausam klaren, die wachen und überwachen Augen Tolstois können das Leben, wie es ist, niemals anders als todüberschattet, dunkel und tragödisch erblicken; nie wird unmittelbar von dieser Kunst, die nicht zu lügen weiß und nicht lügen will, ein wahrhafter Seelentrost ausgehen können. So mag dem Alternden der Wunsch erwacht sein, da er das wirkliche reale Leben nicht anders als tragisch zu sehen und darzustellen vermochte, das Leben selbst zu ändern , die Menschen besser zu machen, ihnen Tröstung zu geben durch ein sittliches Ideal . Und tatsächlich, in seiner zweiten Epoche findet Tolstoi, der Künstler, nicht mehr Genüge daran, das Leben einfach darzustellen, sondern er sucht bewußt seiner Kunst einen Sinn, eine ethische Aufgabe , indem er sie in den Dienst der Versittlichung und Erhebung der Seele stellt. Seine Romane, seine Novellen wollen nun nicht bloß mehr die Welt abbilden, sondern neubilden und »erzieherisch« wirken; in jener Epoche beginnt Tolstoi eine besondere Art Kunstwerke, die »ansteckende« werden wollen, das heißt, den Leser durch Beispiele vor dem Unrecht warnen, durch Vorbilder im Guten bestärken; der spätere Tolstoi erhebt sich aus dem bloßen Dichter des Lebens zum Richter des Lebens.
    Diese zweckmäßige doktrinäre Tendenz macht sich schon in der »Anna Karenina« bemerklich. Bereits hier sind die Sittlichen und Unsittlichen im Schicksal voneinander geschieden. Wronski und Anna, die Sinnenmenschen, die Ungläubigen, die Egoisten ihrer Leidenschaft werden »bestraft« und indie Fegefeuer der Seelenunruhe geworfen, Kitty und Lewin dagegen erhoben in die Läuterungen; zum erstenmal versucht hier der bislang unbestechliche Darsteller Partei zu nehmen für oder gegen seine eigenen Geschöpfe. Und diese Tendenz, lehrbuchhaft die Hauptglaubensartikel zu unterstreichen, gleichsam mit Ausrufungszeichen und Anführungszeichen zu dichten, diese doktrinäre Nebenabsicht drängt immer ungeduldiger vor. In der »Kreutzersonate«, in der »Auferstehung« verhüllt schließlich nur noch dünnes dichterisches Kleid die nackte Moraltheologie, und die Legenden dienen (in herrlicher Form!) dem Prediger. Kunst wird für Tolstoi allmählich nicht mehr Endzweck, Selbstzweck, sondern er vermag »die schöne Lüge« nur noch zu lieben, sofern sie der »Wahrheit« dient, aber nun nicht mehr wie vordem der Wahrhaftmachung des Wirklichen, der sinnlich-seelischen Realität, sondern einer – wie er meint – höheren, geistigen, der religiösen Wahrheit, die ihm seine Krise offenbarte. »Gute« Bücher nennt Tolstoi fortan nicht die vollendet gestalteten, sondern einzig diejenigen (gleichgültig gegen

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