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Drei Dichter ihres Lebens

Drei Dichter ihres Lebens

Titel: Drei Dichter ihres Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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gerade mit ihnen über Gott sprechen will, immer über Gott. Sie erinnern sich, die guten Bauern von Jasnaja Poljana, so hat er's schon einmal gemacht, da hatte er's mit der Schule, der Herr Graf, und ein Jahr lang (dann langweilte es ihn) gab er den Kindern persönlich Unterricht. Aber was will er jetzt? Mißtrauisch hören sie ihm zu, denn tatsächlich wie ein Spion drängt der verkleidete Nihilist an das »Volk« heran, die für seinen Feldzug zu Gott notwendige Strategie auszukundschaften.
    Aber nur der Kunst und dem Künstler werden diese gewaltsamen Erkundungen zum Nutzen – die schönsten seiner Legenden dankt Tolstoi ländlichen Dorferzählern, und seine Sprache versinnlicht und versaftigt sich herrlich am naiv bildnerischen Bauernwort –, doch das Geheimnis der Einfalt erlernt sich nicht. Hellseherisch hat Dostojewski noch vor der pathetischen Krise, schon beim Erscheinen der »Anna Karenina«, von Tolstois Spiegelbild Lewin gesagt: »Solche Menschen wie Lewin, mögen sie auch mit dem Volke leben, solange sie wollen, werden doch nie Volk werden: Eigendünkel und Willenskraft, mögen sie noch so launenhaft sein, genügen nicht, um den Wunsch, zum Volke herabzusteigen, zu erfassen und auszuführen.« Mit psychologischem Kernschuß trifft der geniale Visionär damit in das Zentrum der Tolstoischen Willensverwandlung, den Gewaltakt entlarvend, die nicht aus eingeborener, bluthafter Liebe, sondern aus Seelennot begonnene Brüderlichkeit Tolstois mit dem Volk. Denn, mag er noch so willenstätig dumpf und bäurisch tun, nie kann sich der Intellektualist Tolstoi eine enge Muschikseele statt seiner weiten und weltumfassenden Daseinsdeutungeinpflanzen, nie ein solcher Wahrheitsgeist sich zu einer verworrenen Köhlergläubigkeit völlig hinabzwingen. Es genügt nicht, sich plötzlich hinzuwerfen in der Zelle wie Verlaine und zu beten: »Mon Dieu, donnez-moi de la simplicité«, und schon blüht das silberne Reis der Demut in der Brust. Man muß immer erst sein und werden, was man bekennt: weder die Bindung mit dem Volke durch das Mysterium des Mitleids noch die Befriedung des Gewissens durch vollgläubige Religiosität lassen sich ruckhaft aufschalten in einer Seele wie ein elektrischer Kontakt. Den Bauernrock zu nehmen, Kwaß zu trinken, Felder zu mähen, alle diese äußern Formen der Gleichsetzung mögen sich spielhaft leicht, spielhaft sogar im doppelten Sinne, erfüllen – nie aber läßt sich der Geist abdumpfen, die Wachheit eines Menschen willkürlich niederschrauben wie eine Gasflamme. Leuchtkraft und Wachsamkeit seines Geistes bleibt das eingeborene, unabänderliche Maß eines jeden Menschen; sie ist Macht über seinen Willen und darum jenseits unseres Willens, ja sie flammt nur noch ungestümer und unruhiger empor, je mehr sie sich bedroht fühlt in ihrer souveränen Pflicht wachsamer Helligkeit. Denn sowenig man durch spiritistische Spiele sich auch nur eine Stufe über sein eingeborenes Erkenntnismaß hinüberturnen kann zu höherem Wissen, sowenig vermag der Intellekt kraft eines plötzlichen Willensaktes auch nur eine einzige Stufe in die Einfalt zurückzutreten.
    Unmöglich, daß Tolstoi, dieser wissende und weitsichtige Geist, nicht bald selber erkannt hat, daß ein Abdumpfen seiner geistigen Kompliziertheit zu einer Nitschewo-Einfalt selbst einem so ungeheuerlichen Willen wie dem seinen über Nacht nicht möglich war. Kein anderer als er selbst hat (allerdings später) das wunderbare Wort gesagt: »Gegen den Geist mit Gewalt vorzugehen, ist wie das Einfangen von Sonnenstrahlen; womit man sie auch zudecken will, immer kommen sie obenauf.« Auf die Dauer konnte er sich nicht täuschen darüber, wie wenig sein schroffer, streiterischer, rechthaberischer Herrenintellekt einer ständigen dumpfen Demut fähig war: nie haben jemals auch die Bauern ihn wirklich für einen der Ihren genommen, weil er ihr Kleid anzog und ihre Gewohnheiten äußerlich teilte, nie hat die Welt diesen Akt anders als eine Verkleidung verstanden. Gerade seine Allernächsten, seine Frau, seine Kinder, dieBabuschka, seine wirklichen Freunde (nicht die professionellen Tolstoianer) beobachten von Anfang an mißtrauisch und unmutig dieses krampfige, gewalttätige Hinabwollen des »großen Dichters des Russenvolkes« (so ruft Turgenjew vom Sterbebett ihn zur Rückkehr in die Kunst auf) in eine ihm naturwidrige Sphäre der Ungeistigkeit. Die eigene Gattin, das tragische Opfer seiner Seelenkämpfe, sagt damals zu ihm das

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