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Drei Irre Unterm Flachdach

Drei Irre Unterm Flachdach

Titel: Drei Irre Unterm Flachdach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastienne Voss
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Fetzen in der Hand. Paula grinste: »Na, das war ja wohl nichts!«
    Dann fiel es mir wieder ein. Großvater hatte die Jacke mal e r wähnt, auch von dem roten Dreieck hatte er gesprochen. Es war das Erkennungszeichen für polit i sche Gefangene. In der Kiste war noch eine graue Decke, darauf wieder die Nummer 26004 und Großvaters Name. Dann Papiere:
     
    »Geheime Staatspolizei, Berlin SW 11, den 17.4.1940, Prinz-Albrecht-Straße 8.« Fett gedruckt: »Schut z haftbefehl; wird in Schutzhaft genommen; Gründe: Voss gefährdet nach dem Ergebnis der staatspolizeilichen Fes t stellungen durch sein Verhalten den Bestand und die Sicherheit des Volkes und Staates,
     
    gez. Heydric h«
     
    Darunter der Stempel der Geheimen Staatspolizei mit Reichsadler und Hake n kreuz.
    Paula interessierte sich nun doch für die Kiste. »Hat der Heydrich eigentlich eins auf den Deckel gekriegt dafür, daß er deinen Opa hat einsperren lassen?« Wir kramten weiter und fanden einen Ausschließungsschein der deutschen Wehrmacht mit Großvaters Paßbild, d a tiert auf das Jahr 1940. Verträumter Blick, hohe Stirn, Segelohren, Ku ß mund. Süß! Ich verstand Großmutters Liebe auf den ersten Blick.
    In der Kiste waren noch: eine Papiertüte mit Prämienscheinen des Konzentr a tionslagers Sachsenhausen, eine »Bescheinigung über den Erhalt von Prüfsch u hen zu Prüfzwecken von der Schuhprüfstelle Oranienburg«, ein kleines Lede r portemonnaie mit Blechmarke im Kleingeldfach – Prägung: 26004, ein Au s weis des Landratsamtes Hagenow, datiert auf den 20. Juli 1945, der ihn befugte, in der Bezirksleitung Hagenow der Kommuni s tischen Partei Deutschlands als Leiter der Abteilung Agitation und Prop a ganda tätig zu sein.
    Großvater hatte seine KZ-Vergangenheit und den Neuanfang als Überlebender in ein altes Wes t paket gepackt.
    Nach seinem Tod im Jahr 1981 holte Großmutter die Kiste aus dem Schrank. Erst da erzählte ich ihr, daß ich den Inhalt lange kannte. Wilma sah mich an und schwieg, aber dann zischte sie: »Hab ick doch gleich jesagt, is nüscht für dich!«

 
    Gruß und Kuß – dein Julius
     
    Als der Krieg zu Ende war, lernte Großmutter im Lazarett, in dem sie als Krankenschwester arbe i tete, Großvater kennen. Er war vom Todesmarsch direkt in ihre kräftigen Arme geflohen. Wilma, die dem Naziverein »Bund Deutscher Mädel« ang e hört hatte, verliebte sich in den kommunistischen Gustav. Ku r zerhand warf sie ihre Gesinnung, »Sei tugendhaft und treu und edel – mit anderm Wort: ein deutsches Mädel«, über Bord und schloß sich Großvaters Überzeugung an. Gustav zu lieben, ohne auch sofort an das zu glauben, woran er glaubte, kam für meine gesinnungsdynamische Großmutter nicht in Frage. Doch manchmal, wenn sie in Gedanken war oder bei der Hausarbeit, rutschte ihr ein Spruch aus der J u gend raus: »Solang das Dritte Reich besteht, wird jede Schraube rechts herum gedreht.«
    Wir fuhren jeden Morgen mit der S-Bahn in den Kindergarten in Pankow-Heinersdorf. Dort war auch das Büro des Demokr a tischen Frauenbunds, wo sie ehrenamtlich als Kreisvorsitzende arbeitete. Ich wollte nicht in den Kinde r garten und weigerte mich, zu laufen. Großmutter zog drei Jahre lang jeden Mo r gen einen Bo l lerwagen hinter sich her, in dem ein brüllendes Kind tobte. Den ganzen Weg über betete sie mir vor: »Montag, Dienstag, Mit t woch, Donnerstag, Freitag in den Kindergarten, Sonnabend und Sonntag zu Hause.« Bevor sie Sonnabend und Sonntag sagte, ließ sie die Deichsel des Bollerwagens fallen, machte einen Hechtsprung auf mich zu und zog erst an meinem rechten, dann an meinem linken Ohrläppchen. So brauchten wir ewig bis zum S-Bahnhof. Im Kindergarten roch es nach Bo h nerwachs und Milchreis, und ich hängte mich he u lend an den Rockzipfel von Frau Blumental, der Erzieherin. Großmutter kü ß te mich auf die Wange. »Gruß und Kuß – dein Julius. Bis bald, mein kleiner Bu t scher.« Im Gehen winkte sie noch mal und stapfte weiter zu ihrem geliebten Frauenbund.
    Eines Morgens roch sie stark nach Parfüm. Das war mer k würdig, weil Gro ß mutter sonst nie welches benutzte. Sie hatte es eilig und zog den Bolle r wagen so schnell über die holperige Straße, daß ich mit den Rippen gegen die Holzstäbe knallte. Die Ohrläppchenattacken fielen aus. Im Kinderga r ten ließ sie mich in ihrer Parfümwolke stehen und ging ohne Kuß und Spruch und ohne noch mal zu winken. Ich hatte Tode s angst. Auf einmal war alles anders als sonst. Sie

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