Drei Irre Unterm Flachdach
muß la n ge liegen!« dozierte Gustav, wenn Wilma einen Vorstoß wagte: »Na Täve? Wolln wa ’n Schlückchen?« Aber Großvater rückte nichts raus. Schließlich mußte auch der Westbesuch was a b kriegen.
Ab und zu wurde also Apfelwein aus dem Keller geholt. Wenn man den i n zwischen brüchig gewordenen Gummihut von der Flasche nahm, sah man dicken, grünlich-weißen Schimmel. En t schlossen griff Täve zum Teelöffel und ploppte mit dem Stiel den Pfropfen aus der Flasche. Dann servierte er unserm Westbesuch in geschliffenen bunten Römergläsern einen »hervorragenden Jahrgang« selbstgemac h ten Apfelweins.
Großvater selber hielt sich den Bauch und behauptete, an einer Magenverstimmung zu le i den. Er trank nicht einen Tropfen. Die Tanten und Onkel aus der Bundesr e publik würgten mit spitzen Mäulern den gegorenen Obstsaft runter. Keiner traute sich, was zu sagen. Alle wußten, daß Gustav schnell ausflippte. Bei Wide r spruch wurde man eiskalt des Grundstücks verwiesen, was nach einer anstrengenden Autofahrt niemand riskieren wollte. Am se l ben Tag wieder zurück nach Pforzheim, das war denn doch zuviel verlangt. Einmal riskierte Tante Emmi aus Westberlin den Rau s schmiß. Ihr war es egal, sie mußte sowieso spätestens um Mitte r nacht wieder an der Grenze sein.
Mit dem Römerglas in der Hand baute sie sich vor Großvater auf. »Also, mein lieber Gustav, dieses scheußliche Zeug ist wir k lich nicht genießbar! Da schmeckt ja unser Wein aus den Pappkisten von Aldi besser!« Dann schü t tete sie beherzt den Inhalt des Glases auf den Rasen und sank zurück auf ihren Gartenstuhl.
Großvater starrte die Tante an: »Wenn ihr euch nichts Besseres leisten könnt als schlechten Wein aus Pappkisten, dann tut ihr mir leid.« Er nahm das leere Römerglas und ging ins Haus. Mit Cognacschwenker und einer Flasche Wei n brand bewaffnet kam er zurück und goß der Tante schwun g voll ein. Nun mußte sie zur Strafe »Wilthener Gol d krone« trinken, einen üblen Fusel.
Am nächsten lag waren sämtliche Flaschen mit dem selbstgebrauten Apfe l wein aus dem Keller verschwunden. Großvater hatte sie über Nacht en t sorgt.
Die Herstellung von Apfelwein und Apfelsaft überließ er seitdem einem Buchholzer Getränk e fachbetrieb, an den er kistenweise Äpfel aus eigener Ernte lieferte. Wir bekamen jedes Jahr so viele Flaschen Saft und Wein zurück, daß sich die Kellerregale bogen. Die gläsernen Weinballons hatte Großvater aufgehoben. Sie standen bis Mitte der achtziger Jahre zwischen der Kiste mit den »Neuen Deutschlands« und den Obststiegen.
Erster Mai
Als ich das erste Mal zur Maidemonstration durfte, war ich dre i einhalb. Dort gefiel es mir so gut, daß ich mich seitdem schon ab Januar auf den Ersten Mai, den Kampf- und Feiertag der Werktät i gen, freute. Wir trafen uns erst mit ein paar Leuten an der »Nuttenbrosche«, dem emailleverzierten Springbrunnen am Alex, und gingen dann gemeinsam zum Sa m melpunkt in der Karl-Marx-Allee. Von dort aus marschierten wir zu einer gigantischen Tribüne, auf der alle unsere Staat s oberhäupter standen. Sie winkten den Werktätigen zu, und die Werktätigen winkten zurück. Ich war von allen die jüngste Werktätige. Gro ß vater hatte mich auf die Schultern genommen, so daß ich nun die größte Werktätige mit dem be s ten Überblick war. Ich konnte alle Staatsmänner auf der Tribüne genau sehen, und sie sahen auch mich g e nau. Sie winkten mir zu, aber ich hatte nur Augen für Erich Honecker. Er lächelte mich an, und ich verliebte mich auf der Stelle in ihn.
In den Händen hielt ich eine Fahne. Es war die schönste DDR-Fahne der Welt. Großvater hatte sie für mich gebastelt, sie sah anders aus als alle andern DDR- Fahnen. Meine Fa h ne war quadratisch, fünfzig mal fünfzig Zentimeter groß, aus leichtem seid i gem Stoff. Man mußte sie nur hochhalten, dann flatterte sie von ganz allein im Wind. Die Fahne n stange war das Beste.
Sie war aus einem goldenen Besenstiel, dessen oberes Ende mit einem Kremltürmchen verziert war. Den Aufsatz liebte ich. Gro ß vater hatte ihn extra für mich geschnitzt.
Außerdem hatten wir eine rote Arbeiterfahne. Sie war so groß, daß sie die g e samte Vorderfront unseres Amibungalows verdeckte. Nur das Küchenfenster blieb frei, damit Großmutter beim Kartoffelschälen kein Licht machen mußte und Gro ß vater die Straße im Blick hatte; wegen seines Verfolgungswahns konnte er eine Ewi g keit allein in der dunklen Küche
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