Drei Irre Unterm Flachdach
peinlich. Noch dazu mußte ich den Artikel immer bei mir tragen und jedem, den wir kannten, vorzeigen. Ka m mersänger Stummel, der gleich an der Ecke wohnte, hatte ich ihn schon dre i mal gezeigt, obwohl er schon beim zweiten Mal mit den Augen gerollt hatte. Nach dem dritten Mal warf ich den A r tikel weg und sagte, daß ich ihn unterwegs verloren hätte.
Sobald der Frühling kam, kramte Großvater aus dem Schuppen seine Ga r tengeräte hervor. Stundenlang sortierte er die Hacken, Spaten, Schaufeln und Harken und stellte dann jedes Gerät an einen dafür vorgesehenen Platz. Nach der Gartenarbeit mußte es genau dort wieder abgestellt werden. Oskar mit dem Sprachfehler verrückte heimlich die Geräte, bevor er bei uns klingelte und fra g te: »Is Baenn da, die doofe Schiege?« Wir rannten in den Garten, turnten am Kle t tergerüst und übten »Bastienne« und »doofe Ziege« sagen.
»Ihr Kamele, ich hack euch die Pfoten ab! Wer war das? Wer hat die Spitzhacke umgestellt?« Großvater hatte einen Kontrollgang durch den Garten gemacht. Immerzu spielte er Aufseher, gab Kommandos und brüllte rum. Ich sah das Blut spritzen und unsere »Pfoten« im hohen Bogen auf den Ko m posthaufen fli e gen, aber am schlimmsten war, daß Stummels das Geschrei auch hörten. Am nächsten Tag würden sie blöde Fragen stellen. Was war denn wieder los? Er wird dich doch nicht ha u en? Sollen wir mal mit ihm reden? Blablabla. Es ging Stummels nichts an, wie oft und warum Großvater brüllte. Und wenn hier jemand haute, dann Herr Stummel! Er hatte nämlich keine Hände, sondern Pranken, obwohl er Kammersänger war. Inzw i schen hatte Ziegen- Oskar die Spitzhacke geholt. »Hier is deine Spichhaacke, Oba!« Er grinste und entwischte durch die Stachelbeerb ü sche. Opa fuchtelte mit der Hacke rum und krächzte: »Ich schlag dich in Stücke, du Dämlack!« Ich war sauer auf Ziegen-Oskar, denn Großvater regte sich jede s mal so sehr auf, daß ich mir Sorgen um ihn machte.
Gustavs ganzer Stolz waren die zwei Kaiserkronen in unserm Garten. Angeblich waren sie se l ten. Wenn sie nicht gerade blühten, sahen sie todhäßlich aus. Man konnte sie leicht mit Unkraut ve r wechseln. Mehrmals waren wir ermahnt worden, wegen der Ka i serkronen nicht ins Beet zu laufen. Natürlich taten wir es doch. Die komischen Dinger standen auf ihren dicken, grünen Stielen nebeneinander. Eine von ihnen war etwas höher g e wachsen als die andere – sie sahen aus wie Mann und Frau.
Einmal im Jahr blühte das Paar. In den Kronen bildeten sich dichte weiße Knäuel, die nach oben hin spitz wurden. Großmutter meinte, die Knäuel würden schweinisch aussehen. »Wie Rimmel sein Pi m mel«, sagte sie.
Großvater sprach schon Anfang März von den Kaiserkronen und konnte ihre Blütezeit kaum erwarten. Wenn es soweit war, rief er Gro ß mutter: »Frauchen, komm mal, die Kaiserkronen blühen!« Sie standen Arm in Arm vor dem Blume n beet, und Großvater lächelte selig. »Ach, die schönen Kaiserkronen!« Auch Großmutter mußte sich lange die Zapfenbl u men ansehen, bevor Großvater sie aus seiner Umklammerung entließ.
Nach der Schule ging ich auf meinen Spielplatz hinter dem Haus, um zu schaukeln. Manchmal eine ganze Stunde lang, denn außer mir war niemand da, dem ich hätte Platz machen müssen. Von der Schaukel aus sah man auf einen der Walnußbäume und linker Hand auf das Beet mit den Pimmelbl u men. Als mein Blick auf ihre blühenden Zapfen fiel, traf mich auf der Schaukel der Blitz. Es stand nur eine da. Von der zweiten sah man noch den Rest des dicken, grünen Stiels, der dicht über der Erde abgebrochen war.
Mir wurde kotzübel, ich rannte in mein Zimmer und verließ es für Stunden nicht mehr.
Am Abend rollte das Geschütz heran. »Was hast du mit der Kaiserkrone g e macht? Waas haast du daamit gemaaacht?«
»Die war schon weg, als ich aus der Schule kam!!!« Ich schrie so laut ich konnte, aber Großvater hörte mich nicht, obwohl er neben mir stand. Er packte mich am Pferd e schwanz und zerrte mich zum Blumenbeet. Mit der freien Hand griff er den Stiel der andern Kaise r krone und riß sie samt Wurzel aus der Erde. Dann warf er mir die Blume vor die Füße. »Nie wieder, nie wieder werden wir in unserm Garten Kaiserkronen haben, nie wieder, so wahr mir Gott helfe!« Mein ganzer Opa zitterte. »Wirf sie weg!« befahl er mir. »Die Hand soll dir dabei abfa u len!«
Mir war heiß, mein Herz raste, die Augen brannten, ich hatte vierzig Fieber. Auf dem Weg
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