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Drei Irre Unterm Flachdach

Drei Irre Unterm Flachdach

Titel: Drei Irre Unterm Flachdach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastienne Voss
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zum Kompost stampfte ich bei jedem Schritt so sehr auf, daß mir die Füße am nächsten Tag noch weh taten. Unentwegt sprach ich vor mich hin: »Ich war es nicht. Ich war es nicht. Ich war es nicht.«
    Später saßen wir schweigend beim Abendessen. Großmutter, die sah, daß es mir schlechtging, und mich trösten wollte, wurde Sprechve r bot erteilt. »Und du hältst den Schnabel, dumme Gans!«
    Am nächsten Tag klingelte es am Gartentor. Es war die Mutter von Zi e gen-Oskar. Wilma sah durch das Küchenfenster. »Wat will denn die Pic h nern hier, die olle Kuh!« Großmutter konnte Frau Pichner nicht leiden. »Wegen der dreckigen Bude und der vielen Kinder«, sagte sie immer. Trotzdem hatte sie nichts dagegen, wenn eins der Pichnerkinder zu uns kam. Sie sprach nur irgen d wie tiefer als sonst, mehr wie ein Mann. Kamen alle vier auf einmal, verlor sie den Überblick und schickte drei wieder nach Hause: »Ralf, Simone, Regine, ab durch die Mitte! Oskar kann bleiben.«
    Wenn ich mal rüber zu Pichners wollte, mußte ich heimlich gehen. Großmu t ter meinte, bei denen würde ich mir die Krätze holen. Trotzdem war ich gerne dort. Es war ganz anders als bei uns. Die Wände waren kahl, und die wenigen Möbel, die Pichners besaßen, sahen aus, als hätten sie im Regen gestanden, ve r zogen und verbogen. In den hohen, großen Räumen wirkten sie total verloren. Bei Pichners sah es immer so aus, als wären sie ger a de umgezogen, alles wirkte seltsam vorläufig. An den Geruch, eine M i schung aus Schweiß, Schnaps und saurer Milch, hatte ich mich gewöhnt.
    Als Frau Pichner plötzlich bei uns klingelte, schwante Großmutter nichts G u tes: »Die kommt doch nur, wenn se stänkern will!« Frau Pichner griente breit und bedankte sich bei Wilma für die schöne Blume aus unserm Garten: »Hat mir Oskar jestern j e bracht. Dit wär doch nu wirklich nich nötig jewesen.« Wilma war zur Salzsäule erstarrt. Doch dann fing sie sich. »Na ja, nüscht für unjut. Wir ham ja zweie davon, und Sie solln och ma wat Schönet inner Vase haben. Hoffentlich hält se sich ne Weile!« Zu mir sagte sie leise, so daß Frau Pichner es nicht hören konnte: »Bei denen ihrer schlec h ten Luft inne Bude is die morgen sowieso hin. Dit hält ja kein Schwanz aus.«
    Als Frau Pichner weg war, sprach sie wieder ganz normal. »Dit erzählen wir nich, haste jehört? Der Opa verjackt den Oskar, bis die Heide grünt, und wenn se grünt, bisse wieder grünt! Und dit arme Jör kriegt zu Hause schon jenuch Dr e sche.«

 
    Verbotene Zone
     
    Daß wir den Garten ha t ten, war ein Glück für uns. Wenn man sich strikt an die Gartenordnung hielt, konnte man sich dort ungestraft aufhalten. Großvater nervte mit seinem Z u tritt-verboten-Wahn. Nirgends durfte man einfach so hi n eingehen, hindurchgehen, sitzen, stehen oder liegen. Für alles gab es Vorschri f ten. Gustav erließ täglich neue Gesetze und Bestimmungen. Fehlte nur noch, daß er schriftliche Verwa r nungen an uns verteilte.
    In den Keller durften wir nicht ohne Genehmigung, weil er da seinen KZ-Koller therapierte. Natürlich schonte er uns durch den Rückzug, aber woher sollte ich das wi s sen? Und Großmutter hatte offenbar auch keine Ahnung, was er da unten so lange machte.
    Ich nannte den Keller das Geheimlabor und ging runter, wenn Großvater nicht zu Hause war. Wilma hatte eine Sonderg e nehmigung, denn sie war von Gustav zum Heizen eing e teilt. Wenn wir allein waren, durfte ich im Kohlenkeller Briketts ha l bieren, während Großmutter nachlegte. Sie halbierte nicht gerne. Aus Sparsamkeitsgründen, so hatte es Großvater a n geordnet, sollten nur halbe Br i ketts verheizt werden. Meiner Meinung nach konnte man auch sparen, wenn man weniger Briketts nachle g te, anstatt zu halbieren. Das sagte ich aber nicht, weil ich so gerne halbierte. Das Halbieren war die beste Gel e genheit, ins Labor zu kommen.
    Neben dem Kohlenkeller, im Lagerraum, stand zwischen Obststiegen, Karto f felkörben und selbstgemachtem Pflaumenmus mit ganzen Früchten eine du n kelbraune Holzkiste. In der Kiste versteckte Großvater seine Sammlung sämtl i cher Ausgaben der sozi a listischen Tageszeitung »Neues Deutschland«. Es fehlte keine ei n zige. Nicht mal die allererste aus dem Jahr 1949. Das »ND«-Archiv diente dazu, daß Gustav den Überblick behielt. Was auf einem SED-Parteitag vor zehn oder fünfzehn Jahren b e schlossen worden war, konnte er hier jederzeit nachl e sen. Eine gute Diskussionsgrundlage für alle

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